In dieser Rubrik werden ausgewählte Predigten des Autors eingestellt.
Ps 150 | Joh 4,46-54 |
Jes 6,1-13 | Apg 2,1-12; 4,13f. |
Jes 50,4-9 | Apg 9,1-20 |
Jes 62,6f.10-12 | 2 Kor 1,3-7 |
Mt 4,1-11 | Kol 4,2-4 |
Mt 21,28-32 | 1 Thess 4,1-12 |
Mk 10,17-27 | Hebr 10,23-25 |
Lk 18,31-43 | You´ll Never Walk Alone |
Predigt Palmsonntag, 14. April 2019
Sophienkirche Elberfeld-West
Text: Jes 50,4-9
Liebe Gemeinde,
was haben Kleidermotten mit Palmsonntag zu tun? Das ist die spannende Frage der heutigen Predigt. Aber zuerst einmal eine Frage an Sie: Haben Sie zufällig Erfahrungen mit Kleidermotten? Jene kleinen, geflügelten Insekten, die sich mit Vorliebe in die teuersten Stoffe fressen und den Umsatz der Textilindustrie hoch halten? Sie nicken?! – Keine Sorge, es muss Ihnen nicht peinlich sein, das kommt in den besten und reinlichsten Haushalten vor; gegen die kleinen Vielfraße kann man sich nicht wirklich schützen. Aber wenn Sie Motten kennen, wissen Sie wenigstens, dass nichts von dem, was wir haben und was uns lieb ist, für die Ewigkeit ist. Gerade das Teuerste und Kostbarste wird gerne zum Fraß für die Motten.
Solch unschöne Assoziationen weckt in uns der Predigttext für den heutigen Palmsonntag. Der Prophet Jesaja sagt mit dem drastischen Bild von gefräßigen Kleidermotten, wie es denjenigen ergehen wird, die seine Botschaft in den Wind schlagen. Jesaja vergleicht seine Zuhörer mit Klamotten, die von Motten zerlöchert werden, bis sie zerfallen. Die Motten erscheinen dabei als Instrument des Zornes Gottes über die hörunwilligen Menschen. Dabei hat Jesaja eigentlich gute Nachrichten im Gepäck: Gott wird sein im Babylonischen Exil arg geschundenes Volk aus seiner Depression zurückführen und ihm eine glänzende Zukunft in der fernen Heimat schaffen – gegen alle Erwartung, einem Wunder gleich!
Diese Ansage erscheint den Menschen allerdings so unglaublich, dass sie sie gar nicht hören wollen. Zu viele Hoffnungen auf göttliche Wunder hatten sich in den Jahrzehnten zuvor zerschlagen. Viel zu sehr sind sie in ihrer gedrückten Stimmung gefangen. So haben sie sich in den langen Jahrzehnten des Exils zu griesgrämigen Zynikern entwickelt, die gar nicht mehr aus ihrer Depression herauswollen, die vergessen haben, dass sie Gottes geliebte Kinder sind. Lieber lamentieren sie tagtäglich über das böse Schicksal und ziehen sich gegenseitig runter, als dass sie noch offen wären für aufmunternde, positive Gedanken. Nicht wahr, liebe Gemeinde, Sie kennen das: Manche Mitmenschen kann man einfach nicht zu positivem Denken bewegen; für die ist das Glas immer halb leer, da können Sie mit Engelszungen reden und Hilfe anbieten – solche Zeitgenossen blocken alles ab und lassen Sie, die Sie helfen wollen, am langen Arm verhungern. Anstrengend ist das und frustrierend.
Genau in eine solch miese Stimmung hinein kommt Jesaja mit seiner guten Nachricht. Und er findet kein Gehör – im Gegenteil: Die Menschen werden unwillig, aggressiv, dissen ihn, wie man heute sagt. Allenfalls als Verbreiter von fake news wird er wahrgenommen, der sie aus ihrer vertrauten Missstimmung herausreißen will, ihnen Beine machen will, die sie schon lange nicht mehr benutzen wollen. Lass uns in Ruhe, weg mit dir und deiner positiven Art, du gehst uns auf den Senkel – wir fühlen uns wohl in unserer Depression, auch wenn wir gleichzeitig kreuzunglücklich mit unserem Schicksal sind! Und wie reagiert Jesaja? Er hätte allen Grund, sie einfach in ihrer selbstgewählten Borstigkeit zu belassen und sich einen dankbareren Job zu suchen. Doch er tut es nicht, denn er handelt in höherem Auftrag; er ist ein Prophet Gottes, von höchster Stelle beauftragt und autorisiert, das schwergängige Volk in die Puschen zu bringen. Er weiß, dass seine Botschaft keine fromme Illusion ist, sondern schon bald Wirklichkeit sein wird: das Volk zurück im längst verloren geglaubten gelobten Land, mit super Zukunftsperspektiven, mit Wohlfühlfaktor und Wohlstand, mit Zufriedenheit und voller positiver Energien.
Das Ganze hat nur einen Haken: Die Menschen im Exil haben ihren Gott längst abgeschrieben und würden ihn am liebsten ganz vergessen, aus dem Gedächtnis tilgen. Der Gott ihrer Väter und Mütter, der Gott der grandiosen Verheißungen an Abraham, Mose und David ist nicht mehr Teil ihrer Welt, er hat keinen Platz mehr in ihrem Denken. Im Gegenteil: Sie machen ihn verantwortlich für ihre prekäre Lage, nach dem Motto: Wie kannst du, der angeblich so allmächtige und treue Gott, dieses große Unglück zulassen? Wie glaubwürdig bist Du eigentlich noch, der Du nicht eingreifst und die Gebete erhörst, die wir bis vor Kurzem tagtäglich und in einsamen nächtlichen Stunden an Dich gerichtet haben? Bist Du etwa ein Sadist oder bist Du einfach doch nicht allmächtig?
Theologisch sprechen wir hier von der Theodizeefrage. In ihr sitzt Gott auf der Anklagebank, und er kann eigentlich nur verurteilt werden: Entweder ist er nicht allmächtig oder er hat einen perfiden Spaß am Leiden der Menschen. Und da kommt so ein Jesaja daher und behauptet erstens, Gott sei allmächtig und werde das auch bald in einem großartigen Wunder zeigen, und zweitens, nicht Gott sei an allem schuld, sondern die Menschen selbst – sie hätten ihr Schicksal selbst verbockt mit alter Schuld und Verfehlung. Das war eine ungeheure Zumutung, und Jesaja, der Überbringer dieser recht unpopulären Botschaft, muss den Ärger der Menschen am eigenen Leib erfahren. Ein undankbarer Job für den Propheten ist das; aber er macht ihn, er hält die Wut der Menschen aus, die sich auf seinem Rücken entlädt. Er ist sich seiner Sache sicher und vertraut seinem Auftraggeber.
Gottvergessenheit heißt das Problem nicht nur zu Jesajas Zeiten, sondern auch in unserer Zeit. Die Mehrheit der Bevölkerung rechnet nicht mehr mit einem Gott, wie ihn die Bibel schildert. Gott ist für sie allenfalls ein Konzept, mit dem sie ihre Leiden vermessen. So hat es vor knapp 50 Jahren der Musiker John Lennon einmal zynisch ausgedrückt. Gott ist allenfalls der Buhmann der Welt, dem man klammheimlich oder ganz offen die Schuld am eigenen Schicksal, am drohenden Niedergang der Zivilisation oder am Mottenfraß im häuslichen Kleiderschrank gibt. Entlarvend ist dabei allerdings, dass man Gott gerade mit solchen Vorwürfen eine große Macht zuspricht: Gott ist in der Lage, das Schicksal der Menschen zu bestimmen! Aber wäre es dann nicht folgerichtig, ihm auch Wendungen zum Guten, heraus aus Depression, Leiden und Borstigkeit, zuzutrauen? Müsste nicht der Buhmann der Welt theoretisch auch ihr Erlöser sein können?
Aber gerade das möchte der aufgeklärte, vernunftbegabte und fortschrittsgläubige Mensch gar nicht hören. Das ginge gegen seinen Stolz – müsste er doch zugeben, dass er nicht alles im Griff hat, dass moderne Technik und Wissenschaft ihn nicht vor Leiden, Krieg und Tod bewahren können; dass seine Bemühungen um Frieden recht halbherzig sind und dass sein Egoismus ihn immer weiter ins Unglück treibt – auf Kosten der Umwelt, der Tiere, der Kinder, auf Kosten seiner eigenen Lebensqualität. Nein: Gott passt nicht in dieses Denken, jedenfalls solange der Leidensdruck nicht hoch genug ist. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten macht jedoch manchmal blind für die Realität. Das zeigt das Gebaren der deutschen Autoindustrie genauso wie das der Chemiekonzerne und vieler anderer. Alles ist machbar, wir wuppen das! Selbst wenn Natur, Umwelt und Gesundheit längst Alarm schlagen und am Kollabieren sind. Selbst wenn die Zukunft unseres Planeten scheinbar von Kindern abhängt, die lauthals „Fridays for Future“ rufen, wirtschaften wir weiter wie bisher – bloß nicht zugeben, dass man mit seiner Weisheit am Ende ist und dass man die Folgen des eigenen Tuns nicht im Griff hat! Und bloß nicht zugeben, dass man Fehlentwicklungen hätte absehen können, dass man Fehler gemacht hat und dazu stehen müsste, um einen Neuanfang zu ermöglichen! Nein, das alles passt nicht in die schöne heile Welt von Technik und Fortschritt.
Den Zuhörern des Propheten Jesaja wird jedoch genau das zugemutet: dass sie in sich gehen, ihre Versäumnisse entdecken, zu ihnen stehen und einen radikalen Kurswechsel vollziehen. Denn darin liegt der Schlüssel für eine bessere Zukunft, für eine Wende zum Guten. So wie für den verlorenen Sohn im bekannten Gleichnis: Seine Selbstsicherheit, sein Realitätsverlust führen ihn in eine prekäre Lage, in der er keinen Ausweg mehr weiß. Selbst Schweinefutter wird ihm verwehrt, der Leidensdruck wächst und wächst. In seiner Not überwindet der junge Mann seinen Stolz (was ihm sicher nicht leicht gefallen ist) und er sucht sein Heil in radikaler Kurskorrektur. Er gesteht sich seine Fehler ein und geht zurück zum Vater – zurück zur Quelle seines Lebens. Seine Einsicht und sein Überlebenstrieb sagen ihm, dass er kleine Brötchen backen muss, um einen neuen Anfang machen zu können: Privatinsolvenz, Gang nach Canossa und wieder ganz von unten anfangen, als Lohnsklave im eigenen Elternhaus. Doch er tut es, und das Wunder geschieht: Sein Vater sieht ihn kommen, er freut sich einen Keks, geht ihm entgegen, verzeiht ihm und dreht das Rad zurück auf Start. Der Sohn darf wieder Sohn sein, der Kurswechsel führt ihn zurück ins volle Leben.
Liebe Gemeinde, das Gleichnis vom verlorenen Sohn führt uns noch zu einer ganz anderen, wichtigen Erkenntnis: Wir sind Gottes geliebte Kinder, egal, was wir verbockt haben in unserem Leben, egal, ob es uns gut geht oder nicht. Daran erinnert zu werden, dass man Gottes geliebtes Kind ist – gerade dann, wenn man Gott vergessen hat, wenn einem nicht nach positivem Denken zumute ist, wenn man sich im Exil fühlt – in einem alten, gebrechlichen, kranken Körper voller Schmerzen – dann daran erinnert zu werden, dass man trotz allem Gottes geliebtes Kind ist, macht frei und zaubert einem ein neues Lächeln ins Gesicht. Auf einmal ist das Glas nicht mehr halb leer, sondern halb voll, auf einmal erscheinen die Widrigkeiten des Lebens aushaltbar, weil man oder frau weiß: Mir kann nichts auf dieser Welt etwas anhaben. Gott hat Acht auf mich, mir kann letztlich nichts passieren. Selbst in der tiefsten Depression bin ich nicht allein, sondern ich habe einen treuen Begleiter. Der wird mein Schicksal wenden und mein Leben zum guten Ende führen. Was um mich herum und in mir drin passiert, muss mir keine Angst machen.
Gott kann das! Er kann die Not wenden, er kann verzeihen, er kann neues Leben schaffen, selbst aus dem Tod heraus. Wo die Depression herrscht, wo Hoffnungslosigkeit regiert, bleibt immer noch die Hoffnung auf jenen treuen Gott der Bibel. Ihm ist unser Leiden nicht egal, er erhört unser Rufen, auch wenn wir es oft nicht in der erhofften Form spüren. Zumindest haben wir die Zusage Gottes: Ich lasse euch nicht allein, auch wenn ihr nicht mehr weiter wisst, auch wenn eure Technik und eure Wissenschaft versagen. Ich bin bei euch alle Tage eures Lebens, in den schwersten Stunden, und führe euch zu neuem Leben.
Und damit sind wir bei der Passion: Die Geschichte Jesu ist die Geschichte eines Ringens, das eigene Schicksal anzunehmen wie damals, im Garten Gethsemane: „Herr, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, aber nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ Und es ist die Geschichte des Gottvertrauens, das zu neuem Leben führt, zur Auferstehung an Ostern. Die Passionsgeschichte ist eine Einladung, uns auf diesen Gott einzulassen, ihm zuzutrauen, dass er uns hindurchträgt durch alles Leiden und dass er uns mit Freuden aufnimmt, wenn wir bei ihm statt bei uns selbst die Lösung aller Probleme suchen.
Das Fazit der Botschaft Jesajas und der Passion Jesu lautet: Vergesst eure Gottvergessenheit, fasst neuen Mut, überwindet euren Stolz! Erkennt euch neu als Gottes geliebte Kinder. Ihr müsst nicht alles selber managen, ihr könnt und müsst euch nicht selbst erlösen! Das Leben ist, wie es ist, voller Unwägbarkeiten, mit engen Grenzen, die wir nicht einfach so überspringen können. Und wenn ihr schon Gott für euer Schicksal verantwortlich macht (was er gerne aushält, wie Jesu Weg ans Kreuz zeigt), dann vertraut ihm bitteschön auch euer Leben an, eure Ängste, eure Schmerzen, eure Versäumnisse, eure Fehler: Er weist euch nicht ab, sondern stärkt euch, geht mit euch, schenkt euch Hoffnung und führt euch dereinst in ein neues Leben in Fülle!
PS: Wir als gläubige Menschen haben die Pflicht und die Möglichkeit, genau diese Haltung Gottes durch unser Tun ins Gedächtnis zu rufen. Deshalb lasst nicht ab, euch um die Depressiven, Schwergängigen, Leidenden und Verzweifelten zu kümmern; auch wenn´s manchmal ein undankbarer Job ist: Wir alle sind ein bisschen Jesaja, mit der frohen Botschaft von Gottes Liebe, die stärker ist als der Tod, im Gepäck. Amen.
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Predigt So. Rogate, 6. Mai 2018
Sophienkirche W.-Elberfeld. Text: Kol 4,2-4
Liebe Gemeinde,
„da kann man nur noch beten“ sagen wir, wenn eine Situation völlig aus dem Ruder läuft, wenn keine Technik mehr hilft, wenn nach menschlichem Ermessen nur noch ein Wunder helfen kann. Das Gebet als letzter Notnagel, als letzter Strohhalm, wenn wir den Boden unter den Füßen verlieren. Man könnte auch sagen: Gott als letzter Notnagel, als Lückenbüßer für unsere menschlichen Unzulänglichkeiten. Das ist wahrlich keine Einstellung unserer entkirchlichten Gegenwart, sondern das war mehr oder minder zu allen Zeiten so. Eigentlich ist eine solche Haltung ja ziemlich respektlos: Wer würde sich eine solche Rolle schon gefallen lassen, der Ausputzer und Notnagel zu sein? Wir jedenfalls wollen aus Respekt gefragt werden, wir wollen die erste Wahl sein, nicht die zweite oder gar die letzte Wahl. Auch ich reagiere da schon mal recht allergisch drauf.
Gut zu wissen, dass Gott anders tickt: Er sieht uns Menschen an, unsere Ohnmacht und Verzweiflung und lässt uns nicht aus Eitelkeit heraus vor die Pumpe laufen. Er erträgt es, dass wir im Alltag versuchen, möglichst selbst klarzukommen, autonom zu sein. Er kann damit umgehen, dass wir uns an ihn wenden, wenn wir nicht mehr weiterwissen. Er sieht, dass wir darauf vertrauen, dass er helfen kann, wo Menschen nichts mehr ausrichten können. Er nimmt es als Vertrauensbeweis und lässt uns nicht allein in unserer Verzweiflung zurück. Er sagt uns Gebetserhörung zu und er kann das unmöglich Scheinende möglich machen – wenn es denn sein soll, auch mit einem Wunder.
Unser Predigttext handelt vom Gebet, davon, was es erfolgreich macht und worum es im Gebet gehen soll. Die erste Information lautet: Seid beharrlich im Gebet! Man könnte auch sagen: ausdauernd, geduldig, nachhaltig, stur. Ja, wir sollen Gott sozusagen mit unserem Gebet auf den Wecker fallen, bis er reagiert! Denn Gott erhält tagtäglich noch ein paar Gebete mehr als nur unseres; weshalb also sollte er gerade uns zuerst erhören? Da dürfen, ja sollen wir schon mal einen Lauten machen und nachhaken, immer wieder nachhaken – wie bei einer deutschen Behörde (auch kirchlichen), die ansonsten bekanntlich gar nicht reagieren. Wie komme ich auf diesen vielleicht schräg klingenden Vergleich?
Ein Gleichnis hat mich draufgebracht, nämlich das von der bittenden Witwe in Lukas 18: Eine Witwe, damals nicht gerade der geachtetste Personenstand, trägt ihr Anliegen einem Richter vor. Der reagiert erst einmal recht schmerzfrei – nämlich gar nicht. Denn er hat Besseres zu tun bzw. seine Beamtenpension vor Augen und schlichtweg keine Lust, einer dahergelaufenen Witwe Recht zu verschaffen. Was macht die Witwe daraufhin? Sie gibt nicht etwa resigniert auf wie so viele andere vor ihr. Ihr Problem erledigt sich für den Richter nicht von alleine – da hat er sich dieses Mal verkalkuliert –, sondern sie legt nach, geht ihm mit ihrem Anliegen gewaltig auf den Zeiger. Schließlich gibt er nach, „um ihres Geilens willen“, wie die ältere Lutherbibel übersetzt. Er will schlicht und einfach seine Ruhe wiederhaben und nicht riskieren, dass sie übergriffig wird und ihn am Ende noch tätlich angreift!
Nachhaltigkeit, Sturheit, Beharrlichkeit und Ausdauer führen selbst bei einem solch bräsigen Richter zum Erfolg, das ist die Botschaft dieses Gleichnisses. Sie hat aber noch eine zweite. Ich zitiere Lk 18,6-8a: „Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.“
Gott ist diesem Gleichnis zufolge kein bräsiger Beamter mit Spitzengehalt, er will nicht einfach seine Ruhe haben, sondern kümmert sich, und zwar gerade um die Ohnmächtigen, Verzweifelten, Entrechteten. Er lässt sie nicht am langen Arm verhungern, sondern kümmert sich um sie! Wer in seiner Verzweiflung ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel schickt, erhält eine Antwort, wird erhört. Das ist die Zusage Gottes. Die Witwe im Gleichnis zeigt, wie es funktioniert. Sie weiß, dass der Richter kein Automat ist, der auf den ersten Knopfdruck funktioniert und anspringt. Sie weiß aber, dass sich Beharrlichkeit auszahlt, wie im wahren Leben.
Das zweite Stichwort unseres Predigttextes heißt Danksagung, wir könnten auch sagen: Wertschätzung. Denn die hat Gott, der Adressat des Gebets, schließlich auch verdient! Die Psalmbeter des Alten Testaments bringen ihre Anliegen vor Gott, sagen aber zu allererst Danke für all das, was sie bereits von Gott Gutes erfahren haben, für die Gebetserhörungen der Vergangenheit. Sie zeigen sich dankbar, schätzen Gottes frühere Wohltaten wert und erinnern ihn zugleich an das, was er alles für sie tun kann und wozu er als Schöpfergott in der Lage ist, auch im aktuellen Anliegen des Psalmbeters: Rettung aus Todesgefahr, Hilfe gegen schreiendes Unrecht, Linderung von Schmerzen, ein Wunder vielleicht. Danke sagen kommt immer gut beim Geber an. Ohne Dankeschön sinkt unsere Motivation, nächstes Mal wieder etwas zu schenken, drastisch. Weshalb sollte es bei Gott anders sein? Selbst wenn er nicht eitel ist, sondern gerne der Notnagel unseres Lebens ist – Wertschätzung ist das Mindeste, was auch Gott erwarten darf.
Wiederum hat Lukas eine kleine Geschichte dazu: Die Heilung der zehn Aussätzigen in Lk 17. Zehn Aussätzige flehen Jesus um Hilfe an. Der hat Erbarmen und heilt sie. Von den zehn Geheilten kommt gerade mal einer zu Jesus zurück und bedankt sich – ausgerechnet ein verrufener Samaritaner! Nur er erhält den Zuspruch: „Steh auf, geh hin, dein Glaube hat dir geholfen!“ (Lk 17,19). Den anderen hat offensichtlich ihre vorherige Heilung nicht wirklich geholfen.
Das dritte Stichwort unseres Predigttextes lautet Fürbitte. Das heißt, wir sollen nicht nur an uns selbst denken, sondern zeigen, dass uns das Schicksal anderer Menschen nicht egal ist. Wir leisten Fürbitte in jedem Gottesdienst, und zwar aus gutem Grund. Denn wir Menschen sitzen alle in einem Boot, wenn es um die ganz elementaren Dinge des Lebens geht: Gesundheit, Glück, Freunde und Familie, Erfüllung, Angst vor Leiden und Tod. Darin sind wir uns alle sehr, sehr ähnlich, egal wo wir geboren sind, wie wir aussehen oder welches Einkommen wir haben. Dies wahrzunehmen und deie Mitmenschen darin zu lieben wie uns selbst, gehört zum Beten mit dazu. Wir dürfen im Gebet unsere höchst persönlichen Anliegen vor Gott bringen, aber sollen die Mitmenschen dabei nicht aus dem Blick verlieren. Wer bereit ist, die Wohltaten und Privilegien seines Lebens zu teilen, erfreut damit Gott, den Geber dieser Gaben. Wer umgekehrt nur seinen eigenen Vorteil im Blick hat wie jener Schalksknecht im gleichnamigen Gleichnis in Matthäus 18, macht sich damit keine Freunde. Der Schalksknecht hat nichts verstanden. Erst wird ihm ein immenser Kredit erlassen, dann besteht er massiv auf ein paar Cent, die ihm sein Mitknecht schuldet. Er darf sich nicht wundern, wenn er am Ende alleine dasteht. Dasselbe gilt für den älteren Bruder des verlorenen Sohns (Lk 15), der aus lauter Eitelkeit und Rechthaberei am Ende schmollend auf der Scholle seines Ackers sitzt, statt ein anständiges Kotelett vom Festbraten für den wiedergewonnenen Bruder abzukriegen.
Liebe Gemeinde, fassen wir es noch einmal zusammen: Beten ist wichtig, beten ist Erfolg versprechend, denn Gott lässt sich gerne bitten und lässt niemanden in seiner Not alleine. Wer nachhaltig bittet, die Wohltaten seines Lebens wertschätzt und sie mit anderen Menschen zu teilen bereit ist, wird bei Gott auf offene Ohren stoßen.
Bleibt nur die kleine, aber feine Anfrage: Wie sind die vielen unerhörten Gebete zu erklären? Wer hat es nicht schon einmal selbst erlebt, dass sein Stoßgebet nicht erhört wurde? Vielleicht hilft es für diesen wichtigen und verständlichen Einwand, den Blick einmal zu weiten: Wissen wir denn, was für uns auch längerfristig gut ist? Gott ist kein Wunscherfüllungsautomat. Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut ist, dann ist es auch nicht das Ende! Diesem Spruch von Oskar Wilde kann ich so einiges abgewinnen, auch in Sachen Gebetserhörung. Meine tiefe Überzeugung ist: Auch wenn es oftmals den Anschein hat, als hätte Gott kein Ohr für uns, sieht er dennoch unsere Not, begleitet uns hindurch und macht, dass unser Leben am Ende gut wird. Manchmal wählt er für uns Umwege statt den direkten Weg. Manchmal sind solche Umwege wichtig, auch wenn wir nicht wissen, weshalb. Gott macht, dass unser Leben am Ende gut wird – so wie damals, bei seinem eigenen Sohn, den er auch nicht vor dem Tod gerettet hat, ihn aber am Ende mit neuem Leben beschenkt hat. Das ist unser Glaube, das ist unsere Hoffnung, das ist die Grundlage unserer Gebete!
Amen.
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Predigt 14. August 2016, Sophienkirche W.-Elberfeld
Von einem, der auszog um zu töten und dabei verrückt wurde…..
Liebe Gemeinde,
es gibt viele schöne und manche schwierige Texte in der Bibel. Der heutige Predigttext ist eine ganz verrückte Story. Welcher Bibeltext könnte das sein? Sofern Sie sich noch nicht zuhause informiert haben, dürfen Sie gerne mitraten! Die Geschichte spielt in Syrien und handelt von einem, der auszog um zu töten und dabei verrückt wurde. Es geht erstens um: Inhaftierung Andersdenkender, Aufruf zur gegenseitigen Diffamierung, Absage an die Meinungsfreiheit, Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, Befürwortung der Todesstrafe, um einen 120%en Fundamentalisten als gründlichen Erfüllungsgehilfen höherer Instanzen und um religiösen Wahn. Es geht zweitens um: zu grelles Licht mit Augenschäden, eine niederschmetternde Wahrheit mit anschließender Appetitlosigkeit, ein Heilungswunder, eine überaus seltsame Berufung, um die überraschend erfolgreiche Umpolung eines Menschen und um einen Identitätswechsel mit Langzeitwirkung bis heute. Haben Sie es herausgefunden?
Ja, Sie haben Recht – es geht um die Bekehrung des Paulus, aufgeschrieben in Apg 9,1-20. Ich lese den Text einmal vor.
Die Bekehrung des Saulus
1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester 2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe. 3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; 4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? 5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. 6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. 7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden. 8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; 9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht. 10 Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: Hananias! Und er sprach: Hier bin ich, Herr. 11 Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet 12 und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias, der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend werde. 13 Hananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wie viel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat; 14 und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangen zu nehmen, die deinen Namen anrufen. 15 Doch der Herr sprach zu ihm: Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel. 16 Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen. 17 Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werdest. 18 Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen 19 und nahm Speise zu sich und stärkte sich. Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. 20 Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.
Liebe Gemeinde, Sie haben noch einmal Recht: So, wie ich den Text eingangs wiedergegeben habe, wirkt er schon sehr fremd. Und doch steckt alles, was ich mit modernen Worten versucht habe auszudrücken, in unserem Text: Saulus, ein konservativer, gesetzestreuer Jude aus Tarsus (das liegt heute an der südtürkischen Mittelmeerküste), meint es richtig ernst mit seinem Glauben. Er geht nicht nur an hohen Feiertagen in die Synagoge, sondern nimmt seine Religion ernst – anders als die meisten Christinnen und Christen Europas im 21. Jahrhundert (Anwesende natürlich ausgenommen). Wenn überhaupt einer, dann ist er, Saulus aus Tarsus, ein glaubwürdiger Vertreter seiner Religion. Er ist nicht wachsweich-liberal oder modern-tolerant, nach dem Motto „soll doch jeder nach seiner Fasson glücklich werden“. Er fühlt sich vielmehr zutiefst der Wahrheit seines Glaubens verpflichtet. Er verteidigt diese Wahrheit, wenn nötig, mit Waffengewalt, er diskutiert nicht über sie, denn sie ist für ihn unverrückbar, unumstößlich, unteilbar. Und dass da, wo gehobelt wird, auch mal Späne fallen, gehört eben dazu. Nur wer Kante zeigt, gilt was – wir kennen diese Einstellung; sie ist hochaktuell und findet sich vom IS bis Donald Trump. Wichtig ist nur, dass man weiß, auf welchem Fundament man steht, unverrückbar, und wer es bedroht. Dann ist klar, was zu tun ist – gegen die Achse des Bösen, wie auch immer sie heißt.
Und so zeigt Saulus null Toleranz gegenüber denen, die die Religion aushöhlen, die einen zum Tode Verurteilten Scharlatan, Aufwiegler und Gotteslästerer zum Messias erklären und damit auch noch hausieren gehen. Null Toleranz gegenüber Jesusjüngern, die die Synagogen infiltrieren, Unruhe stiften, unentwegt Gott lästern und die Erwählung des jüdischen Volkes in Frage stellen. Er hält diese Leute für gefährlich und verrückt.
Saulus von Tarsus ist konsequent, kein Weichei, ein entschiedener Kämpfer für die Wahrheit. Jedenfalls bis zu einem Flash-Erlebnis der dritten Art: Kurz vor dem Zugriff auf die Jesusjünger von Damaskus trifft ihn, den Generalbevollmächtigten des Jerusalemer Hohenpriesters Hananias, höhere Gewalt. Hatte er sich bis dahin, vielleicht ohne es zu merken, blenden lassen von seiner Wahrheit, wird er nun wirklich geblendet. Kurz vor den Stadttoren von Damaskus wird er ausgebremst, damit er nicht noch mehr Schaden anrichtet.
Die Notbremse zieht kein anderer als der auferstandene Christus selbst. Diese Erkenntnis ist niederschmetternd – Saulus geht zu Boden, angezählt und für drei Tage blind. Er muss sich führen lassen – er, der eben noch so souveräne Anführer seines Häschertrupps. Es verschlägt ihm regelrecht den Appetit, wie nach schwerer Narkose. Saulus ist außer Gefecht, schachmatt. Mehr noch: Sein ehedem unverrückbares Weltbild wurde verrückt, es ist zusammengebrochen, von jetzt auf gleich. Eine einzige Erkenntnis, die sich ihm blitzartig aufdrängte, hat sein Kartenhaus aus religiöser Überzeugung, klarer Ansage und null Toleranz umgeworfen. Die Erkenntnis heißt: Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, ist auferstanden und eindrücklich lebendig!
Währenddessen zieht eben dieser Auferstandene am anderen Ende von Damaskus erneut die Strippen: Er erscheint seinem Jünger Hananias – man beachte die Ironie des Namens; er heißt wie der Jerusalemer Hohepriester – und mutet ihm einen geradezu absurden Auftrag zu: Er soll dem Erzverfolger Saulus die Augen öffnen, ihn heilen und ihm seine Berufung als Weltmissionar mitteilen. Nur zu gut kann man verstehen, dass Hananias diesen Auftrag für verrückt hält, dass er Einwände vorbringt, seinem Unmut freien Lauf lässt. Er zählt Christus en detail auf, was Saulus alles verbrochen hat – vom Lynchmord an Stephanus bis zu unzähligen Jüngerinnen und Jüngern, die auf sein Konto gehen. Absolut verrückt, ja geradezu zynisch muss es in seinen Ohren klingen, dass eben dieser Erzfeind das auserwählte Werkzeug Gottes sein soll. Doch überlegen Sie selbst: Was ist verrückter – die Idee, dass aus einem Saulus ein Paulus wird oder dass ein Gekreuzigter der Messias ist?
Hananias hat keine Chance; er verzichtet auf weiteren Widerspruch und führt seinen Auftrag aus. Erhielt der linientreue Saulus einst von Hananias, dem Hohenpriester, die Lizenz zum Töten, erhält er jetzt von Hananias, dem Jünger Jesu, die Lizenz zum gewaltfreien Missionieren. Saulus fällt es wie Schuppen von den Augen, als er hört, was Hananias ihm zu sagen hat. Er kann wieder sehen, bekommt sogar den Heiligen Geist. Er findet seinen Appetit wieder und lässt sich taufen. „Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei“. Die Umpolung ist perfekt, und mit der gleichen Konsequenz wie zuvor geht Saulus-Paulus ans Werk. Er hat die Seiten gewechselt und die Wahrheit ausgetauscht. In den Augen seiner früheren Auftraggeber und seiner Begleiter war er komplett verrückt geworden; jetzt muss er selbst mit Verfolgung rechnen.
Soweit die Geschichte, etwas modern nacherzählt und auf den Punkt gebracht. Sollten Sie sich bis hierher daran gestört haben, dass es etwas untheologisch herüberkam, dann freuen Sie sich nun auf die theologische Deutung der Geschichte! Es geht um eine scheinbar unverrückbare Wahrheit, die von jetzt auf gleich verrückt wurde. Um die Geschichte eines Mannes, der erst der einen Seite, dann der anderen Seite komplett verrückt erschien. Kurz: Es geht um die Verrücktheit unseres christlichen Glaubens und seine Wirkungen.
Lassen Sie uns einmal die Wahrheit anschauen, die Saulus aus Tarsus so energisch verteidigte: Nun, es ging ihm um den Gott der Väter, um die Erwählung seines Volkes, um die Hoffnung auf Erlösung durch den Messias. Saulus kannte sein Altes Testament (das für ihn ja noch gar kein altes war) in- und auswendig. Er glaubte an den Gott, der die Welt erschaffen, sein Volk aus Ägypten ins gelobte Land geführt, sich auf ewig an sein Volk gebunden und für die baldige Zukunft das Kommen des Messias verheißen hatte. Dieser Gott war stark, ja allmächtig, unglaublich eifersüchtig und zu verrückten Anwandlungen fähig, denn er liebte sein Volk unendlich. Dieser Gott erwartete seinerseits von Israel Treue und klare Abgrenzung gegen alle fremden Götter und Lehren.
Saulus von Tarsus stand in guter Tradition derer, die das Volk bis dahin zusammengehalten und verteidigt hatten, so dass es sich immer noch, trotz aller Babylonier, Perser, Griechen und Römer, Gottes auserwähltes Volk nennen durfte. Und jetzt kamen da ein paar Verrückte auf die Idee, einen „neuen Weg“ zu predigen – als ob der alte Weg sich nicht bewährt habe! Dieser neue Weg hatte den Glauben an Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten, zum Inhalt – gerade dieser sollte der erwartete Messias gewesen sein? Einer, der sich mit Sündern und Prostituierten, mit Samaritanern und Zöllnern, ja sogar mit Römern eingelassen hatte? Einer, der sich herausnahm, in Gottes Vollmacht Sünden zu vergeben, Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben? Einer, der das Gesetz äußerst eigenwillig ausgelegt hatte, so dass man es schier nicht wiedererkannte? Einer, der am Ende die Quittung für seine Gotteslästerungen erhielt? Nein – dieser war ganz bestimmt nicht der Messias! Das war eine komplett verrückte Ansicht! Wehret den Anfängen, sagte sich Saulus – weg mit diesen Jesusjüngern!
Es schien Saulus unmöglich, sich auf die Wahrheit der Gegenseite einzulassen. Denn der Glaube an Jesus, den Christus verrückte so ziemlich alles, was man als schriftkundiger Jude über seine Religion wissen konnte: dass der Messias klare Kante zeigen würde, wenn er kommt, dass er die Römer vertreiben und die Frommen belohnen würde, dass mit ihm oder kurz nach ihm der allmächtige Gott Israels seine Herrschaft aufrichten würde, und so weiter und so fort.
Der Glaube an einen gestorbenen, ja gekreuzigten Messias stellte das alles in Frage. Die Vorstellung eines allmächtigen Gottes zu allererst. Ein Gott, der ohne Glanz und Gloria erscheint? Ein Gott, der ohne Gegenwehr seinen Sohn ans Messer liefert? Ein Gott, der sich mit Ungläubigen einlässt? Ein Gott, der allen möglichen und unmöglichen Sündern vergibt? Ein Gott, der sich selbst nicht an den Wortlaut des Gesetzes hält? Das machte alles keinen Sinn für Saulus, das war komplett verrückt, ja schlichtweg absurd. Jedenfalls bis zu jener niederschmetternden Erkenntnis von Damaskus. Sie brachte die 180-Grad-Wende, und Saulus bekannte seither eben jene Wahrheit, von der er später, im Ersten Korintherbrief, sagte, sie sei für normal tickende Menschen ein Skandal und für Menschen mit Denkvermögen eine unglaubliche Dummheit. Nach seiner Blitz-Erkenntnis von Damaskus hielt er, wie er im Philipperbrief wörtlich formulierte, alles Frühere, was er getan hatte, für Scheiße. Saulus-Paulus wurde offensichtlich verrückt – im doppelten Wortsinn.
Was hatte diesen Menschen, der doch seine Gedanken beisammen hatte und von seltener Konsequenz und Klarheit war, so radikal umgepolt? Glauben wir dem Selbstbericht des Paulus im Galaterbrief und den Berichten der Apostelgeschichte, war es jene Begegnung mit dem Auferstandenen. Jene blitzartige Erkenntnis, dass der als Verbrecher gekreuzigte Mensch aus Galiläa quicklebendig war und ihn radikal ausbremsen konnte – das war es. Also musste doch etwas dran sein an jenem „neuen Weg“ der Jesusjünger! Er, Saulus, hatte eine klassische Gottesbegegnung mit allen verrückenden Nebenwirkungen: Zusammenbruch, Blindheit, radikale Veränderung. Und jener Gott hatte sich ihm als „ich bin Jesus, den du verfolgst“ zu erkennen gegeben. Am Ende tilgte Hananias mit seinem Auftritt auch noch den letzten Zweifel, dass er wirklich Jesus, dem Christus-Messias, begegnet war.
Liebe Gemeinde, lassen Sie uns noch ein wenig den „neuen Weg“ anschauen: Der „neue Weg“ ist der Weg, den Gott mit seinen Menschen gehen will. Das ist nicht der Weg des machtvollen Auftritts, kein Weg der „klaren Kante“, sondern der Weg übers Kreuz. Der Weg des Verzichts auf Allmachtgehabe, der Weg nach unten, in die tiefsten Niederungen des Menschseins, ins Leiden, in die Wüste, zu den Favelas Israels, in die Lasterhöhlen, zu den Verlorenen, Unreinen und Ansteckenden. Ein Weg der Anfeindung und Verfolgung, der kollektiven Ablehnung und Diffamierung. Ein Weg ohne Brechstange, ohne Gegenwehr und Verteidigung. Ja, der „neue Weg“ führte sogar in den Schmachtod am Kreuz der Römer. Und aus dem Grab wieder hinaus ins Leben! Ein verrückter Weg, oder?
Von Ostern her wird jedoch klar: Jesu konsequente Lebenshingabe, sein Verzicht auf Allmachtgehabe, sein Weg der Liebe brach dem Tod das Genick. Er musste Jesus wieder freigeben, denn er hatte kein Recht auf ihn, den sündlosen Gerechten. Die unverrückbar scheinende Wirklichkeit des Todes wurde radikal in Frage gestellt. Gott zeigte mit seinem neuen Weg, dass die Überwindung von Leid und Tod nicht mit Allmachtgehabe, nicht mit der Brechstange, nicht mit Schwarzweißdenken gelingen kann, sondern einzig und allein mit Sanftmut, Gewaltverzicht, Vergebung, Liebe und Leidensbereitschaft. Das war und ist der „neue Weg“ Gottes. Saulus kam zur Erkenntnis, dass sein „alter Weg“ zum Scheitern verurteilt war, dass sein Gott komplett anders tickte, als er dachte. Die verrückte Wahrheit jener Jesusleute von Damaskus schien ihm auf einmal überhaupt nicht mehr verrückt – im Gegenteil! Paulus wurde zum bedeutendsten und wirkmächtigsten Verkünder des neuen Weges in der Welt.
So betrachtet, ist das Kreuz kein Skandal und keine unglaubliche Dummheit. Es weist auf den einzig möglichen Weg zum Frieden und zum Leben hin. Möge sich diese verrückte Erkenntnis immer wieder, gerade heutzutage und zuerst bei uns, Bahn brechen! Möge sie die unverrückbar scheinenden Wege der Macht, der Gewalt und des Todes durchkreuzen – damals wie heute!
Amen.
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Predigt Neue Kirche Elberfeld-West
Lätare (15.3.2015)
Podcast des gesamten Gottesdienstes: http://elberfeld-west.de/gottesdienst-15-03-2015-laetare/
Text: 2 Kor 1,3-7
Liebe Gemeinde,
was hilft am besten gegen Trübsal? Na, viel Lachen und eine gute Portion Humor! Treffen wir auf Menschen, die Trübsal blasen, versuchen wir sie zu aufzuheitern und auf andere Gedanken zu bringen. Wunderbar ist es, wenn es gelingt! Wenn nicht, kann das sehr anstrengend sein: Menschen, die sich nur um ihre Sorgen drehen, bei denen das Glas immer halbleer, statt halbvoll ist, bei denen unsere Tröstungsversuche abprallen, und die immer wieder neuen Anlass zu Trübsal finden und sich da geradezu hineinsteigern können. Da kommt wenig Lebensfreude auf, und es ist, als würde einem sämtliche Lebensenergie aus den Knochen gezogen.
Nochmal: Was hilft gegen Trübsal am besten? Antwort: Viel lachen und eine gute Portion Humor. Kennen Sie den? Horst hat ein Problem: Er hat seinen Hochzeitstag vergessen. Seine Frau ist ziemlich wütend und sagt: „Morgen früh erwarte ich ein Geschenk in der Garageneinfahrt, das in weniger als sechs Sekunden von Null auf Hundert ist! Ansonsten Gnade dir Gott!“ Am nächsten Morgen liegt ein Geschenk in der Einfahrt. Neugierig holt sie das Geschenk ins Haus. Sie öffnet es und findet eine nagelneue Badezimmerwaage. Horst wird seit Freitag vermisst…
Liebe Gemeinde, Evangelium heißt frohe, froh machende Botschaft. Ich frage mich, warum es in der Kirche häufig so bierernst zugeht, dass man sich gar nicht traut zu lachen oder zu schmunzeln. Ich finde, die Bibel gibt genügend Anlass, hinter der froh machenden Botschaft nicht nur so schwere Begriffe wie Sünde und Vergebung zu sehen, sondern Lebensfreude pur. Da ist Jesus, der von jetzt auf gleich die Hochzeitsparty mit Wein versorgt. Wein steht für Lebensfreude, und Jesus verwandelt gleich mehrere Fässer von Wasser in Wein. Apropos, kennen Sie den? Tünnes und Schäl fahren von Lourdes nach Hause. An der deutsch-französischen Grenze werden sie gefragt, ob sie etwas zu verzollen hätten. Tünnes sagt zum Zöllner: Nä, wir haben nur eine Kiste Lourdeswasser! Darauf der Zöllner: Machen Se mal den Kofferraum auf! Er schnüffelt am Lourdeswasser und sagt: Meine Herren, das ist Cognac! Daraufhin Schäl: Schon wieder ne Wunder!
Jesus war mindestens genauso lebensfroh wie Tünnes und Schäl. Er galt als Weinsäufer, er sah nicht ein, weshalb er fasten sollte – es war doch die Zeit der Vorfreude auf Gottes Herrschaft! Gottes Herrschaft – das Mittel überhaupt gegen alle menschliche Trübsal, Depression und Trauer. Jesu Gleichnisse wecken Vorfreude auf eine große Hochzeitsparty, auf die die Welt hinsteuert, wir lesen da von einem Leben in Überfülle. Wo Menschen Not leiden, hilft Jesus der Not ab, stellt die Bedrückten auf ihre Füße und sagt, vielleicht mit einem Augenzwinkern: Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause! Oder, zur berühmten Sünderin: Geh und sündige hinfort nicht mehr!
Die Not hat ein Ende, freut euch und glaubt fest daran! Das war Jesu Botschaft, und er feierte reichlich die kommende Zeit. Er war Stammgast auf allen hohen Festen Jerusalems, und die Menschen freuten sich auf ihn, wenn er in ihre Nähe kam. Den rückwärts Gewandten, allzu moralisch Denkenden empfahl er, die Toten ihre Toten begraben zu lassen und endlich nach vorne zu schauen. Seinen eigenen Abschied verkaufte er den Jüngern nicht ohne Humor: Nur wenn er ginge, könne endlich der Heilige Geist kommen! Der Heilige Geist steht für dauerhafte Freude, für ein gutes Betriebsklima zwischen den Menschen, für die Vertreibung der bösen Geister aus unseren Seelen.
Im Geiste Jesu ist es auch, nicht allzu moralisch von Sünde zu denken. Anstelle des erhobenen Zeigefingers machte Jesus den Sündern rechts und links kein schlechteres Gewissen, als sie eh schon hatten, im Gegenteil: Er machte sie frei, er ließ sie gehen, er vergab ihnen – einfach so, weil es so befreiend ist! Keine Sünde kann so groß sein, als dass man sie nicht loswerden könnte; auch das ist ein wichtiger Teil der frohen Botschaft Jesu. Mit einem tiefen Seufzer bat der Gekreuzigte am Ende sogar für seine Henker um Vergebung, denn sie wüssten doch gar nicht, was sie da tun! Und dem Schächer am Nachbarkreuz sagte er: Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein, weil du dich nämlich von meiner Vorfreude hast anstecken lassen!
Jesus freute sich mit den Menschen und er litt mit ihnen. Er teilte ihre Freude und ihr Leid. Er setzte sich für die Benachteiligten ein, er richtete die Depressiven auf, die nicht mehr wussten, wohin mit ihrer Bedrücktheit. Er sah sie nur an, und sie wurden froh. Er sagte ihnen das befreiende Wort, und sie waren frei. Gottes Herrschaft hieß für ihn: Keiner kommt hier unter die Räder, Gott hat Spaß daran, wenn die Menschen lebensfroh sind. Und letztlich, sagt Jesus, gibt es auch keinen wirklichen Grund, Trübsal zu blasen. Gott hat alles im Griff, selbst die erdrückendsten Gedanken und Gefühle kennt er und kann sie in pure Freude verwandeln.
Weil das so ist, heißt es mehrfach im Neuen Testament: Freut euch, auch wenn ihr jetzt leidet! Ja: Freut euch, weil ihr jetzt leidet! Selig sind diejenigen, die das Leiden Christi ertragen, sprich: die dasselbe erfahren, was Jesus erfahren hat: Anfeindung, Bedrohung, Mobbing, am Ende den Tod. Nicht dass dieses Leiden an sich schön wäre. Wer die Bilder von syrischen Flüchtlingskindern vor Augen hat, kann daran nichts Erfreuliches entdecken, im Gegenteil. Wer in die Palliativstationen und Hospize geht, wird viel Bedrückendes erleben. Wer das Schicksal armenischer, ägyptischer, irakischer oder nigerianischer Christen an sich herankommen lässt, den lässt das nicht cool. Wer selbst von Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Tod bedroht ist, hat nicht viel zu lachen. Wo ist da noch Trost?
In den genannten Textstellen heißt es: Freut euch, wenn ihr jetzt leidet! Und das meinen die Schreiber nicht etwa zynisch, sondern todernst: Jeder kriegt im Leben sein Päckchen ab, davon sind sie überzeugt. Und wer es schon früh und in besonderem Maße abbekommt, für den hält die Zukunft ganz gewiss etwas ganz Besonderes bereit. Wer jetzt im Regen steht, dem wärmt schon bald wieder die Sonne den Rücken. Wer jetzt leidet, darf sich auf bessere Zeiten freuen, auf ein tolles Leben, das Gott für ihn oder sie bereit hält! Das kann schon bald kommen, vielleicht auch erst um einiges später. Daher heißt das neutestamentliche Erfolgsrezept gegen Trübsal: Freut euch an gegen die Trübsal des Lebens, nehmt vorweg, was auf euch wartet! Lebt so, als wäre euer Trost schon Wirklichkeit, macht Vorfreude zum Lebenskonzept!
Wirklichkeit ist auch Kopfsache; wenn ich mir einrede, es müsse mir schlecht gehen, weil es das Leben eben so für mich vorgesehen hat, dann wird es mir schlecht gehen. Dann gehe ich gebeugt und voller Trübsal durch die Straßen. Und umgekehrt: Wenn ich mich aufrichte, aufrecht der Zukunft in die Augen schaue, gewinne ich Trost und Selbstbewusstsein. Häufig genügt eine andere Haltung, ein Blickwechsel, und die Wirklichkeit erscheint nicht mehr bedrückend! Vielleicht ist das Glas unseres Lebens ja doch halb voll und nicht halb leer?!
Ja, ich weiß, oft reicht das nicht. Der Weg zum besseren Leben ist oft ein hartes Stück Arbeit und ein Geduldsspiel. Ja, wir kennen auch das: Durststrecken sind oft unvermeidlich, um ein großes Ziel zu erreichen: einen erfolgreichen Berufsabschluss, das eigene Häuschen, eine intakte Familie, eine glückliche Partnerschaft, ein Leben nach der Krankheit. Da reicht es nicht, „einfach nur“ den Blick zu verändern. Ohne harte Arbeit geht da gar nichts, aber am Ende lohnt es sich überreichlich! Auch das Leben in Fülle, von dem Jesus spricht, ist nur zu erreichen mit dem entschiedenen Blick nach vorn; und mit der Einstellung, gegen die Trübsal dieser Welt die Freude zu setzen, Lebensfreude zu entwickeln in Vorfreude auf das, was kommt. Die Vergangenheit muss mich nicht mehr bedrücken, wir können sie loslassen. Sie ist uns vergeben.
Liebe Gemeinde, der Weg zu einem großen Ziel erfordert Geduld, viel Geduld. Geduld ist das Stichwort unseres Predigttextes: Wenn ich die Geduld aufbringe, auf die frohe Botschaft hinzuleben, verwandelt sie mein Leben schon jetzt. „Ertragt einander in Geduld“, rät Paulus den Eheleuten, durchaus mit dem Humor des Menschenkenners. Ich kann am Partner herummäkeln, ich kann seine Schwächen aber auch mit Humor nehmen. Je nachdem werde ich Trübsal oder Glück erfahren.
Nun ist Geduld freilich ein Lebenskonzept, das mit der Logik unserer Konsumgesellschaft kaum vereinbar ist: Die Welt der tausend Werbespots und Leuchtreklamen bombardiert uns tagtäglich mit Lockangeboten, suggeriert uns eine perfekte Welt auf Knopfdruck – „Instant Karma“ sozusagen. Wozu warten und lange sparen, wozu denn lange Geduld, um ein Ziel zu erreichen? Wir geben euch einen Kredit, und noch einen und noch einen, dann könnt ihr euch jetzt schon alles leisten! Und das alles zu überschaubaren Raten! Wozu sich in die Stadt quälen und einkaufen? Eben mal googlen und fix bestellen. Gib mir dein Plastikgeld und kaufs bei Amazon oder Zalando! Und schwuppdiwupp ist das Objekt der Begierde mit gelben Transportern an deiner Haustüre angekommen. Das passt zum Motto: Lieber jetzt gleich Fun statt irgendwann! Wunderbar, dieses Schlaraffenland, oder? Wir fragen nicht nach den Produktionsbedingungen und auf wessen Kosten von wessen Lebensfreude wir das alles kaufen. Und wir fragen nicht, wie lange dieses vermeintliche Glücksgefühl anhält. Ist es doch wie bei Drogen: Es macht süchtig, das große gelbe Auto bald wieder vor der eigenen Haustüre anhalten zu sehen.
Das ist aber nicht die Vision, von der die Bibel spricht. Jesu Vision eines Lebens in Fülle braucht Geduld. Brechstange ist nicht. Auch nicht leben auf Kosten anderer, sondern die Fülle teilen. Das bringt tiefe und dauerhafte Lebensfreude; und das nicht irgendwann, sondern schon hier und jetzt: Wenn wir uns zu neuem Mut aufrichten lassen, wenn wir mit Selbstbewusstsein nach vorne schauen. Wenn wir Geduld aufbringen für andere und für uns selbst. Beim Blick in dankbare Gesichter der Menschen, denen wir Zeit schenken, ein Lächeln schenken, Vergebung schenken, eine Perspektive schenken. Das verwandelt uns täglich und ´gibt uns einen Vorgeschmack auf das große Ziel – das Leben in Fülle für alle.
Lassen Sie mich Ihnen zum Abschluss noch ein Lachen ins Gesicht zaubern. Kennen Sie den: Meier kommt an die Himmelspforte, und da er ein rechter Hallodri war, wird er von Petrus direkt in die Hölle geführt. Beim ersten Rundgang staunt er nur so: So hatte er sich eigentlich das Paradies vorgestellt, das gute Leben. Irgendwann kommt er an eine Mauer, und durch ein Loch sieht er hinab in jene Hölle, vor der ihn seine Eltern und Pfarrer immer gewarnt haben. Irritiert fragt er seinen Höllenführer: Die Hölle hier gefällt mir ja ausgesprochen gut. Aber sag mir, was ist das da drüben? Da meint der Guide: Das ist die Hölle der Frommen, deren Religion keinen Spaß verträgt – die wollen das nicht anders!
Amen.
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Predigt Dönberg Reformationstag 2013
Hoffen, wo es nichts zu hoffen gibt
Text: Jes 62,6f.10-12
6 O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den Herrn erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen,
7 lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden!
10 Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker!
11 Siehe, der Herr lässt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her!
12 Man wird sie nennen „Heiliges Volk“, „Erlöste des Herrn“, und dich wird man nennen „Gesuchte“ und „Nicht mehr verlassene Stadt“.
Liebe Gemeinde,
worauf soll ich noch hoffen – die Dinge sind so, wie sie sind, und ändern sich nicht. Die Welt ist, wie sie ist, und ich kann sie eh nicht ändern. Früher war alles besser, aber nichts ist mehr so, wie es einmal war. Vielleicht kommt Ihnen dieses Lamento ja bekannt vor, können darin einstimmen oder kennen Menschen, die es pflegen? Mancher Zeitgenosse erlebt sein Leben als eine einzige Durststrecke und verfällt darüber in Trübsal und Apathie. Leicht sagt es sich dann: Nun reiß Dich mal zusammen, du musst halt nach vorne schauen statt immer nur zu jammern! Es gibt Leute, die lassen sich nicht aus ihrem Loch ziehen, ja sie glauben, es müsse alles so sein und sie hätten es nicht besser verdient. Anstrengend und frustrierend ist das für alle Beteiligten.
Unser Predigttext ist darauf aus, das Volk Israel aus seinem Loch zu ziehen, gegen sein Selbstmitleid anzukämpfen. Nach mehr als 40 Jahren fern der Heimat, unter fremden Menschen in Babylon, ohne Aussicht auf Befreiung und Rückkehr ins gelobte Land hatten viele die Hoffnung aufgegeben. Die Welt war, wie sie war, und warum sollte sich daran etwas ändern? Es gehörte schon eine gehörige Portion Mut und Ausdauer dazu, hier gegenzuhalten und vom schier Unmöglichen zu reden. Der Prophet Jesaja hatte genau diese Aufgabe. Ein undankbarer Job war das und auch nicht ganz ungefährlich. Angesichts der prekären Lage der Deportierten und gegen alle Lebenserfahrung die große Hoffnung zu predigen, das konnte auch leicht als Zynismus daherkommen.
Was Jesaja dem Volk auszurichten hatte, ist in etwa vergleichbar mit Ankündigungen wie: Mit der neuen Bundesregierung wird alles besser, es wird keine Steuererhöhungen und keine Arbeitslosigkeit mehr geben. Oder: Trotz solcher Bischöfe wie in Limburg wird die Kirche schon im nächsten Jahr eine einmalige Trendwende erfahren und endlich wieder attraktiver für die Menschen werden. Oder: In ein paar Jahren wird der Nahostkonflikt gelöst sein! Ein hoffnungsloser Illusionär, der solche Hoffnungen in die Welt setzt!? Und doch gab es schon solche überraschenden Entwicklungen, auch in unserer eigenen jüngsten Vergangenheit: Die Wende vom eisernen Vorhang hin zum Fall der Mauer. Kaum jemand in Ost oder West hätte vor dem Herbst 1989 das für möglich gehalten. Oder die friedliche Revolution in Südafrika – nach Generationen voller Apartheid. Ab und zu tut sich Erstaunliches, manchmal auch im ganz privaten, persönlichen Bereich. Gegen alle Verzweiflung tun sich plötzlich neue Türen auf, die für immer verschlossen schienen. Gegen alle Hoffnungslosigkeit endet auf einmal eine Durststrecke, die sich wie ein ehernes Schicksal anfühlte.
Gott sei Dank nimmt das Leben manchmal solche Wendungen, die uns aus unserem Loch herausholen und uns daran erinnern, dass es sich noch lohnt zu hoffen – gegen alle Erfahrung. Dass es sich lohnt für Veränderung zu kämpfen – gegen alle Ohnmacht. Die Wächter sollen dem Gott Israels in den Ohren liegen Tag und Nacht – es lohnt sich! So hämmert es Jesaja ein. Weg mit den inneren und äußeren Barrikaden, die das Leben und die Hoffnung blockieren! Freie Bahn für das utopisch Klingende, für die Wende! Erlösung ist keine abstrakte Utopie, sondern das realistische Ergebnis hartnäckiger Bemühung. Ein Fisch, der nicht mehr gegen den Strom schwimmt, ist tot, sagt man. Jesaja gibt dem Recht. Und die historische Erfahrung erst recht: Israel kehrte überraschend heim ins gelobte Land, die Mauer fiel über Nacht vor nunmehr fast 24 Jahren, und vieles andere mehr.
Für gläubige Menschen sind solche Entwicklungen kein historischer Zufall und auch nicht ausschließlich das Ergebnis humaner Anstrengungen. Für gläubige Menschen erschließt sich darin Gott selber, der Schöpfergott, der selbst aus dem Tod heraus neues Leben schaffen kann. Die Bibel ist voll von solchen Erlebnissen und Erfahrungen. Von der Sintflut über den Auszug Israels aus Ägypten, die Rückkehr des Volkes aus Babylon, die Totenerweckungen Jesu bis hin zur Ostererfahrung der Jünger zieht sich ein weites Band jenes Schöpfungshandelns Gottes. Mit diesem Gott ist jederzeit zu rechnen, und er ist immer für Überraschungen gut. Wenn es irgendeinen Grund gibt, gegen alls Hoffnungslosigkeit anzuhoffen, nicht nachzulassen im Blick nach vorn, dann ist es dieser Gott, der immer wieder Zeichen der Hoffnung in die Welt setzt.
Liebe Gemeinde, Jesaja lehrt uns, dass nichts so bleiben muss, wie es scheint, dass bei Gott nichts unabänderlich ist und das Gebet viel bewirken kann. Er lehrt uns zu vertrauen und nach Gottes Spuren zu fahnden. „Liebe und Wärme in der kalten Welt, Hoffnung, die wir fast vergaßen“ hatten wir zu Beginn gesungen. Zeichen der Hoffnung, oftmals klein und unscheinbar, wie der Löwenzahn im Asphalt oder der wärmende Sonnenstrahl nach dem Herbststurm. „Wo Gott ist, ist das Leben“ – der Liedtitel gibt die Richtung vor, in der wir Veränderung und Erlösung erwarten dürfen. Selbst für unsere Kirche ist nicht Hopfen und Malz verloren. Trotz aller Tebartz-van-Elste und aller allzu menschlichen Kirchenvertreter steht dieser Laden unter der Verheißung der Treue Gottes und lebt in der Hoffnung, dass er seine Kirche trägt und zu ihrem Ziel führen wird.
Ja, die Kirche ist „semper reformanda“, wie Martin Luther es seinerzeit formulierte – jederzeit erneuerbar und jederzeit unter dem Anspruch, erneuert zu werden. Von nichts kommt nichts, und ohne den fortwährenden und lautstarken Protest von uns Protestantinnen und Protestanten wird sich auch in unserer Kirche und in ihrer Wahrnehmung da draußen nichts ändern. Protestieren wir also im Sinne der Reformation lautstark und fortwährend gegen das Unrecht in der Kirche und in der Welt. Setzen wir uns ein für die Flüchtlinge in Lampedusa, für die Armseligen in unserer Stadt, für die Hoffnungslosen in unseren Familien. Vieles liegt im Argen, vieles ist für viele schier unerträglich. Helfen wir ihnen, ihre Last zu tragen, ja abzutragen, wenn sie im Loch sind und nicht herauswissen. Nennen wir die Dinge lautstark beim Namen und kämpfen gegen das Leid und das Unrecht an. Wer so kämpft, kämpft für die Sache der Kirche – und die Kirche sind wir!
Nehmen wir dabei immer wieder den Gott Jesajas und den Vater Jesu Christi in die Pflicht. Rücken wir dem Schöpfergott unablässig auf die Pelle und vertrauen auf seine Möglichkeiten, das unmöglich Scheinende herbeizuführen. „Ist Gott für uns, so trete gleich alles wider mich; so oft ich ruf und bete, weicht alles hinter sich. Hab ich das Haupt zum Freunde und bin geliebt bei Gott, was kann mir tun der Feinde und Widersacher Rott?“
Amen.
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Predigt ESG Wuppertal, 15. Mai 2013
(„Geist-reich“ Gottesdienst)
Text: Apg 2,1-12; 4,13f.
Liebe Studierende,
kaum etwas ist so unfassbar wie die Sache mit Pfingsten. Worum geht es an Pfingsten, weshalb ist das so ein wichtiger Feiertag, dass sogar der Montag noch frei ist? Die Ursprungsgeschichte von Pfingsten hat uns Herr Schönherr gerade vorgelesen, sie steht in Apg 2.
Was ist an jenem Pfingsten passiert? Der Traum aller Sprachstudierenden wurde wahr: Einfach so konnten die Jünger in Fremdsprachen sprechen – ohne lange Schulbildung, ohne Sprachlabore und BA-Studium. Einfach so, einfach genial! Die Jünger waren be-geistert, wortwörtlich. Und sie konnten ihre Begeisterung an die Menschen ringsherum weitergeben. Was sie von Jesus, seinen Taten und von Ostern zu sagen hatten, konnten alle verstehen. Sie waren vom Heiligen Geist inspiriert und hatten Inspirierendes zu sagen: Die frohe Botschaft von dem Gott, der sogar aus dem Tod heraus neues Leben schaffen kann; das Evangelium von Jesus Christus, das uns Menschen Hoffnung auf ein erfülltes Leben gibt bis heute.
Auch wenn es bei manchen Zeitgenossen nur Spott provozierte – das Sprachenwunder verfehlte seine Wirkung nicht. Ach, wäre das schön, gäbe es solche Wunder heute auch noch! Dann bräuchten wir nicht mühevoll Sprachen studieren, und das Land würde eine Menge Geld sparen!
Aber halten wir einen Moment inne und fragen uns, warum wir eigentlich diese ganze Mühe des Sprachenlernens auf uns nehmen. Da gibt es ganz unterschiedliche Gründe: Da ist einmal der Reiz des Anderen, der fremden Kultur, die unsere Neugier weckt. Und da ist das Gefühl des Defizits, dass wir uns nicht jedem verständlich machen können. Und da ist der Spaß, wenn man entdeckt, dass man die geheimnisvolle Fremdsprache auf einmal versteht und sie einsetzen kann.
Sich verständlich machen – das ist eine Kunst, die längst nicht alle Menschen beherrschen. Nicht einmal in der eigenen Muttersprache gelingt das immer. Es gibt zum Beispiel Fachjargons, die bleiben einem verschlossen; ein Arztbericht bei der Visite oder in schriftlicher Form bei der Entlassung aus dem Krankenhaus stellt uns vor Rätsel. Für die meisten von uns sind Mathe oder Ingenieurwesen Bücher mit sieben Siegeln. Ja, es soll sogar Menschen geben, die unter einem Dach wohnen und sich trotzdem nicht einander verständlich machen können; die nicht klar kundtun können, was sie wollen, aber zugleich jedes Verständnis dieser Welt erwarten. Dabei wissen wir doch, dass die meisten zwischenmenschlichen Probleme darin ihre Ursache haben, dass es an der Kommunikation hapert. Da weiß oft die Rechte nicht, was die Linke tut. Da glaubt einer, alles sei klar, aber dem Anderen ist überhaupt nichts klar. Anstatt dass man sich einmal ein Wort mehr gönnt und für den Anderen ein Stück weit mitdenkt, hakt man vieles für sich ab – ist doch klar, oder?
Die Kunst, sich verständlich zu machen, ist die Grundlage eines gelingenden Miteinanders. Viele von Ihnen werden irgendwann als Lehrerin oder als Lehrer arbeiten – das hoffe ich jedenfalls sehr für Sie! Da sind Sie dann Profi für Kommunikation und Vermittlung. Sie müssen die Sprache Ihrer Kinder und Jugendlichen kennen, um ihnen etwas vermitteln zu können. Und wer schon einmal bei Christhard Lück studiert hat, weiß, dass es nicht nur um pure Info, um kognitive Lernziele geht. Nein, es geht genauso um Emotion und Motivation! Ein guter Lehrer, eine gute Lehrerin ist jemand, der die Schülerinnen und Schüler nachhaltig motivieren kann; der sie begeistern kann – womit wir wieder bei Pfingsten wären. Der Funke muss überspringen, nur dann entwickeln sich die eigentlich wichtigen Lernprozesse. Und aus eigener Erfahrung sage ich dazu: Meine Schulerinnerungen reduzieren siech inzwischen auf die Lehrer, die mich vorwärts gebracht haben und welche nicht. Die Inhalte sind dagegen fast schon unwichtig geworden.
Liebe Studierende, Pfingsten heißt: Gott schenkt uns seinen Geist und damit die Fähigkeit zu gelingender Kommunikation. Der Heilige Geist ist unser Draht zu den Menschen. Wer ihn hat, wirkt inspirierend und motivierend auf seine Umgebung, der hat Charisma im besten Sinne, der hat das rechte Wort zur rechten Zeit parat, der kann motivieren und überzeugend seine „Message“ rüberbringen!
Der Draht zu den Menschen ist sicherlich zwei Feiertage wert, meinen Sie nicht? Angesichts einer recht geistlosen Zeit und fehlender Vorbilder in Politik und Gesellschaft, in der gerade junge Menschen nach Orientierung suchen, ist die Gabe des Geistes das A und O. Es liegt an uns, die wir wissen, was Pfingsten meint und was der Inhalt des Evangelium, der frei machenden Botschaft, ist, für Orientierung zu sorgen, den Menschen Halt zu geben und in ihnen Vertrauen in die Menschheit und in Gott zu wecken.
Wer die Kunst, sich verständlich zu machen, beherrscht und darüber hinaus noch die Sprachlosigkeit der Zeit durchbricht, tut nicht nur für die Glaubwürdigkeit unseres Glaubens etwas Entscheidendes, sondern stärkt in den Menschen den Appetit auf ein gelingendes, gutes Leben. Pfingsten ist eine gute Gelegenheit, sich zu outen, wes Geistes Kind wir sind. Denn Glaube ist keine Privatsache. Das haben nicht nur die Jünger verstanden, die sich auf die öffentlichen Plätze Jerusalems stellten, sich als überzeugte Christen outeten und Erstaunliches zu sagen wussten. Auch der Kirchentag hat letzte Woche wieder gezeigt, dass der Glaube mit all seinen kritischen und befreienden Impulsen in die Gesellschaft hineinwirkt – hineinwirken muss!
Wo Menschen sich so outen und zu ihrer Sache stehen, gewinnt die Kirche das Ansehen zurück, das ihr großenteils verloren gegangen ist. Als ein Zeichen für unsere Stadt Wuppertal können wir das heute einmal ausprobieren. Lass Sie uns outen, wes Geistes Kind wir sind, indem wir unsere Träume, Visionen und Wünsche für die Stadt und die Menschen in ihr auf Kärtchen schreiben und sie in unserer Nachbarschaft verteilen! Dann regnet es zwar keine Feuerzungen vom Himmel, aber viele gute Wünsche von uns hier an die Menschen ringsumher.
Und uns allen hier wünsche ich etwas von jener Begeisterung, die unzählige Menschen seither angesteckt und ermutigt hat immer weiter zu gehen, um gegen den Geist der Sprachlosigkeit anzukämpfen und die frei machende Botschaft unseres Glaubens in die Welt zu setzen!
Amen.
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Predigt Vfl Gennebreck / Herzkamp, 12. Mai 2013
Text: Hebr 10, 23-25
Liebe Vfler, liebe Festgemeinde,
„Gemeinsam zum großen Ziel“ lautet das Motto meiner Predigt. Was aber macht Gemeinschaft aus? Was gehört zur Rezeptur für den sportlichen Erfolg? Das kann man seit einiger Zeit an der Innentür des Vereinshauses lesen: Fairplay, Disziplin, Spaß, Zusammenhalt, Teamwork, Ehrgeiz, Siegeswille, Respekt und Hilfsbereitschaft – das sind die Fußball-AG-Werte. Eine gute Mischung ist das, so scheint es mir; eine Mischung, die nicht nur sportlichen Erfolg verspricht. Mehr noch: Sie verspricht Spaß und ein menschliches Miteinander, von dem jeder was hat. Das ist etwas, was man, wie das Ehrenamt, mit Geld nicht bezahlen kann. So hat es Stefan Books zur Begrüßung der Bläck Fööss vorletzte Woche auf den Punkt gebracht.
90 Jahre Vfl – 90 Jahre sportliche Erfolge, Spaß, Zusammenhalt und respektvolles Miteinander. Über drei Generationen immer neue Träume, Spaß und Ziele. Fast ein ganzes Jahrhundert Ehrenamt und Engagement für die Jugend von Herzkamp und Umgebung. 90 Jahre Vereinsgeschichte, und damit eng verwoben die Lebensgeschichten vieler Sportler und deren Familien. Das ist schon was, und zu Recht feiern wir in diesen Wochen kräftig – auf dem neuen Kunstrasenplatz genauso wie drumherum! Und das Ganze dem Frühlingsregen zum Trotz!
Was hat der Vfl – was habt Ihr – alles erreicht und geschafft in den letzten Jahren?! Wie viele aktive Fußballmannschaften – Mädels, Jungs, große Jungs und alte Herren – tummeln sich hier fast täglich?! Wie viele andere Sportgruppen kann der Vfl vorweisen – Volleyballer, Turnerinnen, XX?! Und dort steht ein superschickes, mit viel Herzblut in nicht zu beziffernder Eigenarbeit erbautes Vereinshaus! Nicht zu vergessen natürlich der Wahnsinnskunstrasenplatz, den wir hier vor 1 ½ Jahren festlich einweihen konnten! Was habt Ihr alles auf die Beine gestellt – Fußballturniere der besonderen Art, habt ruhmreiche Traditionsmannschaften wie Bochum und Leverkusen engagiert, habt Ausflüge zu internationalen Jugendturnieren organisiert, habt die Bläck Fööss gleich dreimal für Eure Projekte gewonnen, und , und, und…
Liebe Vfler, für all das dürft Ihr Euch heute kräftig auf die Schulter klopfen! Selbstverständlich sind all diese Erfolge nicht, und die Chronik der Vereinsgeschichte liest sich eher so, wie sich ein durchwachsener Frühling anfühlt: Voller Hochs und Tiefs, voller Wetterwechsel, voller Visionen und Ernüchterungen. 90 Jahre Vfl – das ist ein Spiegel des Lebens, so wie es ist, und wie es jeder, jede von uns kennt. Manchmal sind da Jubel und Tränen ganz eng beisammen. Festwochen hier – großes Bangen oder sogar Trauer um liebe Familienangehörige dort. Fröhliche Ausgelassenheit auf der einen und ziemlich einsame Arbeitsstunden am Vereinshaus auf der anderen Seite. Unbeschwerter Fußballspaß hier und schwer verständliche Streitigkeiten dort. Zwei Seiten eines Vereins, zwei Seiten des Lebens.
Wie geht das zusammen, fragt Ihr vielleicht? Wie kann man das alles aushalten ohne Schere im Kopf? Ich denke, Ihr kennt das Rezept längst, und es hat sich über 90 Jahre hinweg bewährt. Das Rezept heißt Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft und Respekt voreinander. Anders gäbe es den Vfl wohl schon lange nicht mehr. Und ich möchte noch ein paar wichtige Zutaten erwähnen, ohne die es keinen Erfolg geben kann: Hoffnung und Stehvermögen, Mut zu Visionen und vor allem: Immer wieder Menschen, die bereit sind, ihre Freizeit zu opfern und anderen Menschen zum Vorbild zu werden.
Apropos Erfolgsrezept: Mir kommt da spontan auch unsere Kirche in den Sinn, wo man diese Zutaten ganz genauso braucht: Im Auf und Ab zwischen inspirierenden Kirchentagen und dem alltäglichen Kampf gegen den Wind einer kritischen, ja geradezu entkirchlichten Öffentlichkeit und gegen die Mutlosigkeit in den eigenen Reihen. In diesem Auf und Ab hilft immer wieder die Erinnerung an die Lebensrezepte, wie wir sie an der Tür des Vereinshauses lesen können. Oder, um es mit einigen Versen des Hebräerbriefes zu sagen:
— TEXT Hebr 10, 23-25 –
Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; und lasst uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken, und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das umso mehr, als ihr seht, dass sich der Tag naht.
Für ein gelingendes Miteinander kann sich die Kirche viel beim Vfl abgucken. Was kann umgekehrt der Vfl vom Hebräerbrief lernen? Vor allem eines, denke ich: Noch mehr aufeinander Acht zu haben, nicht nachzulassen, einander anzuspornen zu immer neuem Engagement, und: Sollten sich einmal Vereinsmitglieder zurückziehen oder Ehrenamtliche aussteigen wollen, sie nicht einfach ziehen lassen, sondern das Gespräch suchen und an den Ursachen arbeiten. So hat es immerhin die Kirche über zwei Jahrtausende hinweg geschafft – so schafft es auch der Vfl – auch zweitausend Jahre?? Schaumer mal!
Liebe Festgemeinde, ein Letztes: All diese Rezepte helfen nichts, und das Motto der Predigt „Gemeinsam zum großen Ziel“ hilft auch nichts, wenn es denn kein großes Ziel, keine faszinierende Vision gibt. In Zeiten, in denen man ums Überleben oder um den Klassenerhalt kämpfen muss, ist das vielleicht noch leichter als dann, wenn man die selbst gesteckten Ziele erreicht hat. Ich bin gespannt auf Bayern München nach dem vermutlichen Triple, auf den SC Freiburg nach der Euroleague und auf den Vfl nach diesen Festwochen. Was soll kommen? Was kann noch faszinieren? Es werden vielleicht nicht die ehrgeizigen Projekte der vergangenen Jahre sein. Doch ein bleibender Zusammenhalt und die Bewältigung des unspektakulären Alltags verdienen mindestens genauso viel Respekt und erfordern ebenso eine enorme Durchhaltekraft und ständige Überzeugungsarbeit. Das große Ziel könnte heißen: Auch den nächsten Generationen an Vflern Heimat zu geben, damit sie sich, nicht nur im Sport, einander Halt sein können und die Höhen und Tiefen des Lebens gemeinsam durchstehen können. Dieser Weg zu einem gelingenden Leben kann mühsam sein, aber er lohnt sich in jedem Fall. Apropos: Der Glaube und die Kirche stehen unter derselben Vision wie der Vfl: Unter der Vision der frohen Botschaft vom guten, gelingenden Leben.
Amen.
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Predigt Dönberg, Estomihi 10. 2.2013
Von verpeilten Jüngern und einem Blinden mit Durchblick (Lk 18,31-43)
Liebe Gemeinde,
ein Blinder wird von Jesus geheilt und folgt ihm nach. Das ist der Kern des heutigen Predigttextes. Bei näherem Hinsehen können wir erstaunliche Entdeckungen machen: Kontraste durchziehen den Text: Da ist von Jüngern die Rede, die nichts peilen, und von einem Blinden, der klarer sieht als die Sehenden. Da sind die Jünger, die das Wesentliche, die Osterbotschaft, überhören, und hier ist der Blinde, der sehenden Auges Jesus ins Leiden nachfolgt. Da sind die Jünger, die Sorge haben, der Blinde könne mit seinem Schreien zuviel Aufmerksamkeit erregen, und hier ist Jesus, der sich davon nicht beeindrucken lässt, sondern den Blinden heilt. Dort stehen die ängstlichen Jünger, hier stehen irgendwelche Leute, die lauthals Gott preisen.
Die Geschichte von der Heilung des Blinden – Markus nennt ihn Bartimäus – spielt am Vorabend der Passion Jesu. Jesus hat seinen Jüngern soeben zum dritten Mal seinen Tod und seine Auferstehung angekündigt, dann ruft er noch einige Menschen in die Nachfolge, um sich schließlich in die Höhle des Löwen zu begeben. Der ganze Textabschnitt kreist um das Thema „Nachfolge“. Die Jünger, die vor langer Zeit für Jesus alles aufgegeben hatten und ihn seither begleiten, kriegen das große Muffensausen und sehen die Felle ihrer Hoffnungen davonschwimmen. Menschen wie Bartimäus und Zachäus, der berühmte Zöllner, versprühen dagegen einen frischen, unverbrauchten Glauben, der sie in die Nachfolge führt.
Um auf die Kontraste zurückzukommen: Ist es nicht oft so? Die, die es eigentlich am besten wissen müssten, verlieren den Blick fürs Wesentliche. Gebildete Menschen, die verstehen sollten, worauf es ankommt, sind oft auffallend realitätsfern. Beispiele hierfür gibt es genügend in diesen Tagen. Häufig verstellt die Karriereleiter den Blick für die ganz einfachen Zusammenhänge. Dafür etwa, dass alles seinen Preis hat. Ein Doktortitel etwa ist ehrenvoll, setzt aber die Bereitschaft voraus, eine lange Durststrecke durchzustehen und sich nicht mit fremden Federn zu schmücken. Das Amt eines Ministers ist dazu da, der Gesellschaft zu dienen, und nicht, um sich nachhaltig zu bereichern. Von einem Religionslehrer oder Pfarrer erwarten wir zu Recht ein sichtbares Maß an Glauben und Glaubwürdigkeit. Von einem Banker erwarten wir den verantwortungsvollen Umgang mit unserem Hab und Gut. All das sind einfache Zusammenhänge, Selbstverständlichkeiten, auf denen das Miteinander in unserer Gesellschaft gründet. Doch lehrt uns die Erfahrung, dass vieles von dem eben doch nicht selbstverständlich ist. Das mag daran liegen, dass Verantwortungsträger in der Regel auch Macht haben. Und wer Macht hat, erliegt gerne der Versuchung, seine Position auf Kosten Dritter auszunutzen. Das kann ganz offen und unverfroren geschehen, aber auch subtil, versteckt.
Auch die Jünger Jesu waren privilegiert. Durch Jesus wussten sie vieles, was anderen verborgen blieb. Sie wussten sich ganz nah am kommenden Heil, sie waren Vertraute des Messias. Wenn Jesus das Reich Gottes ausrufen würde, wären sie auf der Gewinnerseite und würden himmlische Ehrenplätze bekommen. Das war ihr Kalkül. Denn so einfach gibt man nicht alles auf, nicht einmal ein Fischerboot am See Genezareth. Die Jünger hatten konkrete Hoffnungen und Erwartungen an Jesus. Ihre Investition würde sich rentieren und eine große Rendite abwerfen. Jesus hatte ihnen ja selbst den Einzug in sein Reich versprochen. Einige Jünger waren schon in konkrete Verhandlungen mit Jesus getreten, wer welchen Posten besetzen dürfe.
Doch der Haken daran war: Der Blick auf die Karrierechancen vernebelte ihnen gewaltig den Blick für ihre Verantwortung: Menschenfischer sollten sie werden, Salz der Erde und Licht der Welt – eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe, bei der zunächst einmal wenig zu verdienen war. Die Aufgabe, anderen Menschen im und zum Leben zu helfen, bedeutet in allererster Linie Hingabe – damals wie heute. Hingabe an Menschen, denen ihr Leben zu fad geworden war; ohne eine Prise Salz schmeckt die Suppe bekanntlich fad, nach nichts. Ohne eine Vision vom besseren Leben geht unsere Existenz allzu schnell in Alltagstristesse auf. Ohne ein Licht am Ende des Tunnels machen sich schnell Resignation und Verzweiflung breit. Das Leben der Anderen zu würzen und ihnen Orientierung zu geben – hierzu hatte Jesus die Jünger berufen; der in Aussicht gestellte Lohn schien anfangs durchaus die Mühen wert: ein Leben in Fülle schon jetzt und erst recht im kommenden Reich Gottes.
Nun ging das mit dem Lohn manchem Jünger offenbar nicht schnell genug. Der Traum von der schnellen Karriere an der Seite des Messias wich nach und nach großer Ernüchterung. Der Siegeszug Jesu drohte je länger, desto mehr in einem Desaster zu enden. Vor den Toren Jerusalems standen die Zeichen endgültig auf Scheitern. Jesus machte ihnen da auch gar nichts vor. Wiederholt erklärte er ihnen seinen Weg – den Weg des Verrats, der Folter und des Todes am Kreuz. Damit hatten sie nicht gerechnet. Sie hatten sich verkalkuliert, verzockt. Sie standen vor den Trümmern ihrer Hoffnung und sahen sich getäuscht. Judas wurde darüber zum Verräter; die anderen machten sich rechtzeitig aus dem Staub, bevor die Falle zuschnappen konnte. Weiter als bis zum Tod ihres Heros und bis zu ihrem absehbaren eigenen Tod konnten sie nicht mehr sehen. Die Vision, die sie so lange am Laufen gehalten hatte, war verblasst. Der Hinweis Jesu auf seine Auferstehung verhallte da ungehört wie eine leere Phrase.
Ich habe den Eindruck, dass wir uns gut in den Jüngern Jesu, den ersten und den neu gewonnenen, wiederfinden können. Nicht nur in diesen Februartagen, wo wir uns so lange etwas Sonnenlicht am Ende des Tunnels herbeigewünscht haben; nein, auch im Leben überhaupt. Die Gewissheit, dass die Sonne bald einmal wieder länger scheinen wird, lässt uns vorwärts gehen und bewahrt uns vor der Winterdepression. Die Hoffnung, dass die Durststrecken unseres Lebens irgendwann ein Ende haben werden, treibt uns an und hilft uns durch den zuweilen trüben, tristen Alltag. Es gibt aber auch Phasen, in denen wir Menschen schier unfähig sind, noch ein Licht am Ende des Tunnels wahrzunehmen.
So erging es jenen ersten Jüngern Jesu; sie hatten den Blick für das Wesentliche, für die Möglichkeiten Gottes, verloren. Just in jener Situation treten der blinde Bartimäus und der Zöllner Zachäus auf den Plan. An ihnen wiederholt sich die Story der Jünger – deja vu sozusagen. Auf einmal ist wieder Aufbruchsstimmung zu spüren. Die neu gewonnenen Jünger sprühen vor Begeisterung und folgen Jesus nach, und zwar unter weit ungünstigeren Bedingungen als die ersten. Bartimäus und Zachäus lenken den Blick zurück aufs Wesentliche. Während die Jünger der ersten Stunde nur noch die drohende Gefahr wahrnehmen, zählt für die neuen allein die Erfahrung von Heilung und Zuwendung. Die Begegnung mit Jesus ist für sie das Highlight ihres Lebens. Der Blinde erlebt wortwörtlich das Licht am Ende des Tunnels seiner Blindheit; Zachäus entdeckt das Geheimnis des Lebens in Fülle – nämlich es großzügig zu teilen – und dreht seine bisherige Existenz komplett auf links. Und warum das alles? Ganz einfach deshalb, weil ihnen Jesus die Vision von einem Leben in Fülle vor Augen gemalt hat – unübersehbar, unmissverständlich, so wie damals den Jüngern am See Genezareth. Ironie des Schicksals: Bartimäus und Zachäus werden zu Vorbildern der ersten Jünger. Ob die das verstehen und sich an ihre anfängliche Begeisterung erinnern werden? Ob sie ihr ureigenes Privileg und ihre Aufgabe wiederentdecken werden? Ob sie sich von der frischen Begeisterung anstecken lassen und neue Hoffnung schöpfen werden? Der Fortgang der Geschichte zeigt, dass es lange dauert, bis sie ihren Optimismus wiedergefunden haben – bis lange nach Ostern und eigentlich erst an Pfingsten.
Pfingsten ist ein gutes Stichwort. Wir sind zwar noch eine ganze Weile von Pfingsten entfernt, dennoch kann der Blick auf jenes Fest helfen, das Geheimrezept für Hoffnung zu entdecken. Es besteht vor allem aus einer Zutat: dem Heiligen Geist. Er sorgt dafür, dass wir hell sehen können. Nicht hellsehen im landläufigen Verständnis. Sondern hell sehen – auseinander geschrieben. Das Helle sehen können, da wo Dunkelheit herrscht. Die trübe Wirklichkeit anders wahrnehmen, als sie vorgibt vordergründig zu sein. Spurenelemente des Lichts entdecken, wo andere längst in Depression verfallen sind. Glauben können, dass Gott von jetzt auf gleich uns Licht schenken kann, auch wenn es gar nicht danach aussieht. Das ist die eine Gabe des Heiligen Geistes. Die andere Gabe ist die, dass er immun macht gegen die Versuchungen der Macht und hilft, die persönliche Lebensaufgabe verantwortungsvoll auszuüben. Was wir heute an Machtmissbrauch erleben, ist in diesem Sinne ziemlich geistlos, einfallslos.
Kommen wir noch einmal auf den Blinden von Jericho zurück: Für ihn war die Begegnung mit Jesus das Highlight seines Lebens. Er war blind, und dennoch wusste er, dass der Sohn Davids ihn heilen könnte. Er setzt alles daran, die Gelegenheit zu nutzen. Er lässt sich von nichts und niemandem davon abhalten, Jesus auf sich aufmerksam zu machen. Er schreit, und als er von den Jüngern angeraunzt wird, schreit er noch lauter. Es klingt fast wie Erpressung: Entweder Jesus heilt mich oder ich schreie so lange, bis die Polizei eingreift! Am Ende hat er Erfolg – das ist das Beste an der Geschichte. Der Blinde, der sich und seiner Hoffnung Bahn bricht, gewinnt das Spiel: Jesus enttäuscht ihn nicht. Er schenkt ihm das Augenlicht wieder. Sein Glaube hat ihn gesund gemacht. Eine phantastische Erfahrung – die Augenzeugen applaudieren und geben Gott die Ehre. Und der Geheilte? Er folgt Jesus nach – ohne weitere Überlegung. Er weiß: Demjenigen, der ihm das Leben neu geschenkt hat, kann er vertrauen ohne Wenn und Aber.
Nachfolge heißt: Auf Gottes Spuren wandeln, an der Quelle des Lebens bleiben. Bartimäus ist es egal, ob dieser Weg ans Kreuz der Römer führt. Er weiß: Die Quelle des Lebens lässt sich nicht aufhalten. Karfreitag mündet in Ostern und der Tod in neues, unvergängliches Leben. Wer Jesus nachfolgt, kommt zum Leben in Fülle. Das ist die Entdeckung des Bartimäus.
Liebe Gemeinde, das alles hat sich so oder ähnlich vor rund zweitausend Jahren abgespielt. Bartimäus ist schon lange tot, ebenso die Jünger und die anderen Augenzeugen des Geschehens. Nach zweitausend Jahre fragen wir, was übrig geblieben ist vom Elan der Jünger Jesu. Wie Spuren im Februarschnee, die spätestens beim nächsten Tauwetter verschwinden, hat er sich in den Weiten der Jahrhunderte aufgelöst. Wo ist die Spur des guten Lebens? Das fragen wir uns in den Durststrecken unseres Alltags. Wunder erwarten wir nicht wirklich in unseren Tagen. Die Wunder Jesu erscheinen als ferne Episode der Weltgeschichte. Sind sie das wirklich? Ja und nein, denke ich. Sie sind es und sind es doch nicht. Denn sie haben wunderbarer Weise eine Spur der Hoffnung hinterlassen, die uns bis heute fasziniert und neuen Mut geben kann. Es ist, als hätte Jesus ein Licht angezündet, das sich seither nicht mehr löschen lässt. Ein Licht am Ende des Tunnels für die Menschen seither. Ein Licht, das uns Orientierung gibt bis heute. Ein helles Licht, das uns weiterblicken lässt, über den Tellerrand unserer Alltagstristesse hinaus. Die Heilung des Blinden und der anderen Menschen war ein Fanal gegen Verzweiflung und Sinnlosigkeit.
Gott kann Blinde sehend, Lahme gehend und Tote lebendig machen. Er ist die Quelle des Lebens – das ist der Kern der Botschaft Jesu. Die Brücke zu jener Botschaft ist Gottes Heiliger Geist. Er bringt uns jene Wundergeschichten immer neu in Erinnerung. Er schenkt uns immer neue Hoffnung, er setzt uns auf die Spur des Lebens. Und so führt der Weg von jenem Blinden über Ostern und Pfingsten direkt bis zu uns heute. Lassen wir uns davon anstecken!
Amen.
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Predigt über Mk 10,17-27
18. Sonntag nach Trinitatis, 23. Oktober 2011, Wuppertal-Dönberg
Liebe Gemeinde,
der heutige Predigttext ist eine Zumutung. Mag man sich vieles, was Jesus gesagt hat, theologisch zurechtbiegen, um sich selbst nicht verbiegen zu müssen – der heutige Text lässt das nicht zu. Der Text ist so brutal direkt, dass mein einstiger Lehrpfarrer in Bruchsal statt zu predigen von der Kanzel gestiegen ist und mit der Gemeinde über den Text diskutiert hat. Was bei jener Diskussion herausgekommen ist, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass die Gottesdienstbesucher zutiefst irritiert waren, aber auch dankbar, und dass mir die Ehrlichkeit des Lehrpfarrers bis heute in Erinnerung ist. Sie fragen sich, welcher Text das sein könnte? Es ist die Geschichte vom reichen Jüngling, Mk 10,17-27.
Die Gefahr des Reichtums (»Der reiche Jüngling«)
17 Und als er sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?
18 Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.
19 Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.«
20 Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.
21 Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!
22 Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.
23 Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!
24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen!
25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.
26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden?
27 Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.
Ich könnte es nun meinem Mentor von damals gleichtun und die Predigt beenden, bevor ich sie beginne. Denn, ehrlich gesagt, an dieser Forderung Jesu bin ich bisher kläglich gescheitert, und ich kann mir auch nicht wirklich vorstellen, dass ich sie in näherer Zukunft erfüllen könnte. Ich kann mich sehr gut in die Rolle des jungen Mannes hineinversetzen, der am Ende traurig davon ging. Wer hat schon die Größe oder die Freiheit, von jetzt auf gleich alles aufzugeben und den Armen zu schenken? Um damit selbst ein Armer zu werden… Menschen, die einen solchen Weg gehen, findet man entweder im Kloster oder in der Klapse. Menschen, die einen solchen Weg gehen, sind irre. Sie leben gegen die Regeln unserer Gesellschaft und werden im besten Fall als unzurechnungsfähig, im schlimmsten Fall als gefährlich eingestuft und beseitigt.
Was verlangt Jesus da eigentlich? Reicht es nicht, die Zehn Gebote und den Katechismus zu kennen und zu bejahen? Doch, sagt Jesus, wer das tut, ist ganz nah am Reich Gottes, an der Seligkeit, am ewigen Leben. Der hat begriffen, worum es geht: Um Gottes- und Nächstenliebe, um eine pazifistische, hilfsbereite und respektvolle Einstellung also, mehr als um alles andere. Doch dann kommt der Hammer: Dem, der soviel verstanden hat wie dieser junge Mann, dem sagt Jesus: Knapp daneben ist auch vorbei! Wie im Fußball: Zum Erfolg braucht man die bessere Technik und Taktik. Wenn aber am Ende der Ball nur an die Latte geht oder knapp am Tor vorbei, nützt alles Wissen, nützt alle Technik nichts. Knapp daneben ist auch vorbei – der junge Mann in unserer Geschichte durfte sich eigentlich sicher sein, dass er – im Gegensatz zu manchem Jünger Jesu – das Wesentliche erkannt hatte. Aber mit einer solchen Abfuhr konnte er nicht rechnen. Möglich, dass für ihn damit die Sache mit Jesus ein für allemal abgeschlossen war. Er hatte guten Willen gehabt, er hatte sich von diesem Mann aus Nazareth begeistern lassen, Jesu Ideen leuchteten ihm unmittelbar ein. Er war kritik- und lernfähig – solch eine Abfuhr hatte er wirklich nicht verdient! Ich kann mir gut vorstellen, dass Jesus sich mit seiner direkten Art viele Feinde gemacht hat. Selbst hart gesottene Jünger bissen sich zuweilen an ihm die Zähne aus und kehrten ihm den Rücken zu. Zuviel ist zuviel! Das finden wir heute auch noch, meine ich, wenn wir an Sprüche wie vom Kamel und dem Nadelöhr oder an solche wie „lass die Toten ihre Toten begraben“ denken. Jesus war sehr kernig und er polarisierte mit seinen Sprüchen – so zeigen es die Evangelien allesamt. Halbheiten gehörten nicht zu seinem Stil. Eher „alles oder nichts“, und da ist knapp daneben eben auch vorbei.
Liebe Gemeinde, bei uns heißt es: Beim Geld hört die Freundschaft auf. Bei Jesus heißt es: Beim Geld fängt die Freundschaft zu Gott erst an. Glauben allein genügt nicht, theologisches Fachwissen erst recht nicht. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ heißt es vielmehr, und das wird in unserer Geschichte auf den Umgang mit Geld und Besitz zugespitzt. Nur wer sich mit Geld, dem „ungerechten Mammon“, wie es bei Lukas heißt, Freunde macht, löst sich die Eintrittskarte ins Himmelreich. Die anderen haben ihren Lohn gehabt. Lohn gibt´s nur einmal – entweder hier auf Erden oder einstmals im Himmelreich. Das ist genauso klar und unmissverständlich wie in unserer Geschichte. Die Aussagen lassen keinen Zweifel daran: Ohne konsequenten Verzicht haben wir vor Gott keine Chance.
Was aber mutet uns Jesus da eigentlich zu? Nichts weniger, als die Größe und die Freiheit, radikal loszulassen. Wieder mal ist loslassen angesagt. Loslassen – nicht nur irgendwelche Vergangenheiten, nicht nur die eigenen Kinder, die eigenen Laster, nein: sämtliche materielle Sicherung und Absicherung. Jeglichen Luxus – und für Jesus und die Jünger war schon ein Dach über dem Kopf ein solcher Luxus. Wer Geld verdient, soll es direkt den Armen zukommen lassen, das ist die Forderung Jesu. Gar nicht erst aufs eigene Konto, sondern weg damit! Wer Immobilien oder Aktien besitzt, soll sie verkaufen und den Erlös den Armen zukommen lassen. Und die Sorge für die eigene Existenz Gott überlassen. Das ist für Jesus die Probe aufs Exempel: Traue ich Gott zu, dass er das kann und auch tut? Ich möchte ehrlich sein: Ich kann das nicht! Nicht einmal ansatzweise! An dieser Messlatte muss ich scheitern – ganz klar, ohne Wenn und Aber. Ich traue Gott vieles zu, im Kopf und auf dem Papier in jedem Fall. Ich behaupte, dass ich einen recht natürlichen Kinderglauben habe, der mich durch die Welt gehen lässt, ohne dass ich verzweifeln muss. Aber mich nackig machen, auf alles verzichten, was unsere Gesellschaft für uns bereit hält? Auf den Lohn, der mir Monat für Monat zusteht? Wie soll das auch gehen, habe ich doch Verantwortung für meine Familie! Selbst wenn ich für mich selbst zum Schluss kommen sollte, dass ich das versuchen möchte – einmal so leben, einmal auf alles verzichten und schauen, wie das klappt, einmal im Leben so eine Erfahrung wie Hape Kerkeling auf dem Jakobsweg … Ich würde es dennoch nicht tun, weil ich eingebunden bin in meine Pflichten im Job und in der Familie.
Und außerdem: Verlangt unsere Gesellschaft es nicht gerade, dass wir das Geld, das wir haben, in eben diese Gesellschaft investieren? In das Wirtschaftswachstum, in den Konsum? Ist es nicht unsere erste Bürgerpflicht, unser Geld zu verkonsumieren? Und sorgt nicht schon der Staat mit unseren übersatten Steuergeldern dafür, dass es den Armen in der Welt, zumindest den Griechen, besser geht? Unser gutes Gewissen als Konsumenten ist eine feste Bank für die Banken. Wer da ausschert, gegen Banken und Wachstum wettert, macht sich verdächtig, kommt ins Visier des Verfassungsschutzes. So ist unsere Gesellschaft, so läuft es in unserer westlichen Welt, aber auch in vielen anderen aufstrebenden Regionen. Ein Jesus hätte mit seinen radikalen Ansichten bei uns nicht den Hauch einer Chance. Er hätte wahrscheinlich nicht länger zu leben als damals, vor zweitausend Jahren im Römischen Reich. Er hatte mit seiner kompromisslosen Forderung nach sozialer Gerechtigkeit alle Schichten und Gruppen gegen sich aufgebracht – zumindest alle, die von der damaligen Gesellschaft profitierten. Für die anderen war er das Symbol der Hoffnung, dem sie nachfolgten, den sie zum Messias erklärten. Und genau das machte ihn so gefährlich, so dass er alsbald aus dem Verkehr gezogen wurde.
Liebe Gemeinde, in unserer Geschichte vom reichen Jüngling geht es um Gerechtigkeit. Um eine Gerechtigkeit, die nicht teilbar ist. Genauso wenig, wie die Liebe Gottes teilbar ist. Um eine Gerechtigkeit, die allen, buchstäblich allen Menschen die gleichen Lebenschancen einräumt. Auch den Menschen jenseits der Insel Europa. Jesu Idee ist: Wenn jede und jeder seinen Besitz drangibt, dann gibt es keine Armut mehr, muss keiner mehr verhungern. Können wir uns das vorstellen? Kaum. John Lennon beschreibt das in seinem berühmten Song Imagine: „Imagine no possession, I wonder if you can. No need for grief or hunger, a brotherhood of man.” (Stell dir vor, es gäbe keinen Besitz; ich glaube kaum, dass du das kannst. Stell dir vor, keiner müsste trauern, keiner hungern, sondern eine große Gemeinschaft aller Menschen). Dieser Gedanke ist so unglaublich, so konträr dagegen gedacht, dass er uns Angst macht. Ihn zu denken und ihn umzusetzen, sagt Jesus, wäre das Himmelreich. Das Himmelreich ist auch nicht teilbar. Seligkeit gibt es nur im Verbund mit den Armen der Welt. Das Himmelreich ist keine Insel Europa, sondern das Schiff Eine Welt.
Das Undenkbare macht uns Angst und macht uns traurig – wie den jungen Mann damals. Wir sehen uns an den Scheideweg gestellt, wie wir unser Leben ausrichten wollen. Das macht Angst. Die Jünger fassen das in Worte: Wenn das so ist, dann kann kein Mensch selig werden! Jesus dementiert nicht, aber er sagt einen Satz, der uns eine Türe öffnet: „Was bei den Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich!“ Also könnten wir doch ohne Verzicht ins Himmelreich kommen? Das wäre doch die einfachste und bequemste Lösung: Wir können so weiterleben wie bisher und Gott lässt uns trotzdem selig werden. Ich glaube nicht, dass der Satz so richtig verstanden wäre. Er bedeutet vielmehr etwas anderes, meine ich: Was uns unmöglich scheint, was uns im besten Fall traurig macht oder uns in Panik versetzt, muss nicht unmöglich bleiben. Der Mut zum ersten Schritt – er kommt von Gott, wenn wir ihn darum bitten. Es steht nicht in unserer Kraft, alles einfach loszulassen, aufzugeben. Aber es ist wohl möglich, kleine Schritte hin zu mehr Gerechtigkeit zu tun. Gott setzt uns selber auf die Spur, wenn wir das wollen und ihn konsequent darum bitten. Kleine Schritte – das wäre ein Anfang. Vielleicht braucht es ja gar nicht mehr als viele kleine Schritte. Kleine Schritte können viel Großes bewirken. Wie könnten solche kleinen Schritte aussehen? Ich stelle sie mir so vor: Zu allererst nicht verdrängen, dass es in unserer Welt und vor unserer Haustür ungerecht zugeht. Dann dankbar akzeptieren, dass es uns gut geht – besser jedenfalls als vielen anderen. Dann die eigenen Möglichkeiten und Talente entdecken und sie einsetzen. Zeit ist Geld, heißt es. Wie wäre es, wenn wir hier und da uns wieder etwas Zeit nähmen nicht für die eigene Wellness (die wir auch ab und zu benötigen), sondern für die anderen um uns herum? Was das Finanzielle angeht, geht vielleicht hier und da auch noch mehr. Wofür, das bekommen wir tagtäglich vor die Tür gelegt, da findet sich schon was. Eine Idee: Wir rechnen für jeden Luxusartikel das Doppelte ein – einmal den Ladenpreis und dann noch mal genauso viel für einen guten Zweck. Aber das wäre ja schon ein riesiger Schritt, nicht wahr? Lassen Sie uns die kleinen Schritte nicht vergessen. Wer nur an das Ganze denkt, wird darüber verzweifeln und gar nichts tun. Lassen Sie uns Gott täglich neu um offene Augen, um Fantasie und Mut bitten, wieder einen kleinen Schritt zu tun. Jeden Tage einen kleinen Schritt. Wie bei der Nahrungsumstellung oder beim Fitnessprogramm. Nehmen Sie sich täglich einen Spickzettel und notieren Sie, was heute ein solcher kleiner Schritt sein könnte. Und notieren Sie am Abend, welche Erfahrungen Sie damit gemacht haben. Möglicherweise ist Ihnen da schon ein Stück von Seligkeit und Himmelreich widerfahren.
Amen.
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Predigt 4. September 2011
You´ll Never Walk Alone
Einweihung Kunstrasenplatz Herzkamp
Wenn du durch einen Sturm gehst
Geh erhobenen Hauptes
Und habe keine Angst vor der Dunkelheit
Am Ende des Sturms
Gibt es einen goldenen Himmel
Und das süße, silberhelle Lied einer Lerche
Geh weiter, durch den Wind
Geh weiter, durch den Regen
Auch wenn sich alle Deine Träume in Luft auflösen
Geh weiter, geh weiter, mit Hoffnung in deinem Herzen
Und du wirst niemals alleine gehen
Du wirst niemals alleine gehen
Geh weiter, geh weiter, mit Hoffnung in deinem Herzen
Und du wirst niemals alleine gehen
Du wirst niemals alleine gehen
— Liedvortrag „You´ll Never Walk Alone“
Liebe Vfl-er, Fußballfreunde, große und kleine, alte Herren und Gennechicks, liebe Festgemeinde,
wer kennt sie nicht – die Uralthymne des FC Liverpool, vielfach übernommen und kopiert. Das Lied drückt wie kein anderes das Gefühl des Fußballs, der Zusammengehörigkeit von Fans und Spielern in guten wie in schlechten Tagen, aus. Eine Hymne ist das, ein Lobpreis auf die Gemeinschaft bei der schönsten Nebensache der Welt.
Ursprünglich gehörte das Stück ins Finale eines Musicals, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Amerika aufgeführt wurde. Darin geht es um das Schicksal der Soldatenfrauen, die in jener Zeit zwischen Hoffen und Bangen lebten. Daher ist der eigentlich traurige Text des Liedes zu erklären, der von Stürmen, Angst, Dunkelheit und zerplatzten Träumen erzählt. Es ist ein Mutmachlied im eigentlichen Sinne des Wortes; es geht um die Hoffnung, die zuletzt stirbt und die die Menschen immer wieder aufrichtet. Wie dieses Lied dann nach England, in die großen Arenen von Liverpool und Glasgow kam, weiß ich nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass das in einer Phase der großen Gefühle, in einer Zeit heftiger Niederlagen, vielleicht des Abstiegs, passierte.
Heute hat die Hymne weltweite Verbreitung gefunden – wohl wegen der großen Gefühle, die es zum Ausdruck bringt – das passende Gegenstück zum triumphalen „We are the Champions“ von Queen.
„You´ll Never Walk Alone“ ist ein geniales kleines Lied, das aber vom Inhalt gar nicht so neu ist, wie es den Anschein hat. Der Text ist eine Leihgabe der Bibel, und wenn man den Textern Böses wollte, würde man heutzutage von Plagiat sprechen. Das scheint mir dem Lied aber Unrecht zu tun, sind doch die meisten Musikstücke, Gedichte und so weiter von irgendwo her „geklaut“, und das war schon immer so. Ich finde das Lied samt Text jedenfalls sehr schön und in jeder Hinsicht gelungen.
Als Theologe reizt es mich natürlich trotzdem, einmal in der Bibel nachzuschauen, um zu sehen, welche Vorlagen die Komponisten anno 1945 oder so im Kopf hatten. Eine kleine Auswahl mag genügen. Im zweiten Buch Mose heißt es: Ihr sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein! Und dieser Gott zieht dann mit seinem Volk Israel durch die Wüste, durch dick und dünn, durch Siege und Niederlagen, und von dort aus weiter bis heute. In Psalm 23, den viele von Euch und Ihnen kennen, heißt es: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück. Dein Stecken und Stab trösten mich.“ Und schließlich ist „You´ll never walk alone“ – ihr werdet niemals alleine unterwegs sein – die große Zusage Gottes in Jesus, seinem Sohn: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“ heißt es am Ende des Matthäusevangeliums. Gott ist der Immanuel, zu deutsch: Der „Gott, der mit uns ist“.
Der Fußball lebt, wie alle Mannschaftssportarten, vom gelingenden Zusammenspiel der Spieler auf dem Platz. Je besser sie aufeinander eingespielt sind, desto größer am Ende der Erfolg. Je mehr sie sich die Bälle einander zuspielen, desto öfter kommen sie vors gegnerische Tor. Primadonnenartige Einzelkämpfer, und seien sie noch so talentiert, helfen der Mannschaft nicht wirklich viel. Teamgeist ist übrigens auch jenseits des Kunstrasenplatzes der Schlüssel zum Erfolg. Nur wenn alle Vereinsmitglieder, aktive wie passive, Kinder und Jugendliche, Eltern und Trainer, Vorstand und Sponsoren, an einem Strang ziehen, können solche ehrgeizigen Projekte wie das, das wir in diesen Tagen feiern, gelingen. Nur wo jeder sich für das Gelingen des Ganzen verantwortlich weiß, kann man so ein Fest wie an diesem Wochenende oder das Schützenfest am letzten Wochenende stemmen. Ich denke, darin sind wir uns alle einig. Nicht geholfen ist dem Verein mit Leuten, die lauthals hier schreien, am Ende aber doch nicht mithelfen. Dann schon eher mit solchen, die zuerst zögern, sich dann aber voll reingeben. Darauf komme ich am Ende noch einmal zurück.
Teamgeist ist schließlich der Schlüssel zum Erfolg des alltäglichen Lebens – dort also, wo die eigentlichen Test- und Entscheidungsspiele stattfinden. In den Situationen des Lebens, wo es drauf ankommt, wo sich Schicksale entscheiden – etwa bei Trennungen, bei Unglücks- und Todesfällen, beim Verlust des Arbeitsplatzes, oder da, wo Menschen unter uns in die Sucht oder in die Depression abgleiten. Wo die Krankheit zuschlägt und es dunkel wird im Leben. Wenn da treue Begleiter und Freunde zur Stelle sind, denen wir nicht viel erklären müssen, an deren Schulter wir wie selbstverständlich uns anlehnen und ausheulen können; wenn da Menschen sind, denen wir blind vertrauen können, denen es nicht in erster Linie um ihren eigenen Vorteil geht, dann schöpfen wir neuen Mut und Kraft zum Weiterkämpfen. Ein gutes Wort, ein Lächeln genügen oft schon, um nicht zu verzweifeln. Die Hoffnung stirbt zuletzt, und die Hoffnung wird von Menschen weiter getragen.
Liebe Festgemeinde, Verlässlichkeit, Teamgeist und Verantwortungsbewusstsein sind heute mehr gefragt denn je. In einer Welt, in der den Kindern schon eingebläut wird, dass sie mehr Rechte als Pflichten haben, in der wir Erwachsenen täglich an unserer persönlichen Leistung gemesssen werden und in der man so vieles gegen gutes Geld dem Staat oder irgendwelchen Institutionen übertragen kann – in einer solchen Welt wächst die Gefahr, dass wir uns nicht mehr füreinander verantwortlich fühlen – ja oft nicht einmal mehr für uns selbst. „Ich zahle, also bin ich!“ – als Kunde sind wir König, und wehe, die Leistung stimmt nicht. Wehe aber besonders denen, die kein Geld haben um sich Leistungen zu kaufen – sie gelten nichts, es sei denn, irgendjemand von uns fühlt sich persönlich angesprochen, hat Mitleid und weiß sich verantwortlich. Ich finde, dass dieser kleine, aber feine Vfl Gennebreck ein Ort ist, wo das noch gelebt wird, wo viele sich verantwortlich fühlen und einander unterstützen, wo es geht. Und welche sportlichen Erfolge hat der Verein gerade in den letzten Monaten zu verzeichnen gehabt! Ich denke nur an die neu entstandenen Mädchenmannschaften, die Gennechicks, die begeistert trainieren und sich nach vorne spielen. Ich denke an Konzerte mit den Bläck Fööss und überhaupt an die Anstrengungen, diesen Kunstrasenplatz zu verwirklichen – ein Traum, der nicht zerplatzt ist. Ich denke an Public Viewings, an medienträchtige Turniere und DFB-Trainingseinheiten, an die jungen Familien, die den Weg zum Verein gefunden haben und sich hier wohlfühlen. Hier haben auch selbst diejenigen einen Platz, die sich ansonsten schwer tun und „draußen“ nicht die Anerkennung finden, die ihnen zusteht. Die große Offenheit und die Wertschätzung den Menschen und Ehrenamtlichen gegenüber empfanden auch wir vor einem Jahr als so wohltuend, dass wir seither regelmäßig das Clubhaus aufsuchen. Unsere Hündin Paule ist inzwischen so etwas wie ein Vereinsmaskottchen, und wir werden nicht müde, ein Loblied auf den Verein anzustimmen, wo immer es sich ergibt. Ein gutes Zeugnis, finde ich, das wir dem Vfl heute ausstellen können. Werte, um die es zu kämpfen lohnt und die nicht einigen wenigen Schultern im Verein überlassen werden dürfen! Und so ist diese Predigt auch ein Appell, das so mühsam Erreichte festzuhalten, weiterhin und vielleicht noch mehr als bisher zusammenzustehen, auf dem Platz und neben dem Platz Verantwortung zu übernehmen und die Arbeit der Ehrenamtlichen, mit ihren vielen Stunden hinter dem Tresen, am Würstchenstand, am Gelände rund um den Platz, mit den Trainerstunden auf dem Platz oder in der Vorstandsarbeit neu wahrzunehmen und wertzuschätzen. Ich bin überzeugt, dass das gelingen kann – hier in Herzkamp gibt es die besten Voraussetzungen dafür!
Zum sportlichen Erfolg gehört Teamgeist. Für die Meisterschaft des Lebens ebenfalls. Wo wir zusammenstehen, uns gegenseitig weiterhelfen, gewinnt das Leben auch jenseits dieses Kunstrasenplatzes eine neue, wichtige Qualität. Lasst mich zum Schluss, ohne weitere Worte, ein Gleichnis Jesu vortragen, den eigentlichen Predigttext des heutigen Sonntags. Hier geht es um die, die laut hier schreien, und um die anderen.
Das Gleichnis von den beiden Söhnen
28 Dann sagte Jesus: »Was meint ihr zu folgender Geschichte? Ein Mann hatte zwei Söhne. Er sagte zu dem einen: ›Mein Sohn, geh und arbeite heute im Weinberg!‹
29 ›Ich will nicht‹, erwiderte der Sohn; später aber überlegte er es sich und ging doch.
30 Dasselbe sagte der Vater auch zu seinem anderen Sohn. ›Ja, Herr‹, antwortete der, ging aber nicht.
31 Wer von den beiden hat nun nach dem Willen des Vaters gehandelt?« »Der Erste«, antworteten sie..
„You´ll Never Walk Alone“ – Ihr werdet niemals alleine unterwegs sein – das ist die große Zusage und das ist das große Vermächtnis Gottes an uns Menschen.
Amen.
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Kurzpredigt Kirchentag im Westen
Wuppertal-Vohwinkel, 1. Juli 2011
Predigttext: Ps 150
1 Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht!
2 Lobet ihn für seine Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit!
3 Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen!
4 Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen!
5 Lobet ihn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit klingenden Zimbeln!
6 Alles, was Odem hat, lobe den HERRN! Halleluja!
Liebe Kirchentagsgemeinde,
Eine alte, gebrechliche Frau ging den beschwerlichen Weg von Bethsaida nach Kapernaum. In ihrer Tasche trug sie eine wertvolle Fracht: Geschenke für ihre beiden Enkelsöhne. Lange hatte sie nachgedacht, worüber sich die Beiden wohl freuen würden. Als sie es herausgefunden hatte, machte sie sich mit Feuereifer an die Arbeit und steckte viel Zeit und Herzblut hinein. Sie freute sich schon auf die staunenden und glücklichen Kinderaugen. Als sie angekommen war, überreichte sie den Enkeln in einer kleinen, feierlichen Zeremonie die Geschenke. Der Jüngere war überglücklich, strahlte, fiel der Großmutter um den Hals und bedankte sich. Nicht so der Ältere: Er verzog keine Miene und wandte sich wortlos ab. Über welchen Enkel, glauben Sie, hat sich die Großmutter mehr gefreut – über den älteren oder über den jüngeren?
Die Antwort, liebe Gemeinde, fällt uns nicht schwer: Natürlich über den Jüngeren! Wenn unsere Gedanken und Geschenke auf Dankbarkeit treffen, macht uns das selber glücklich. Wenn nicht, sind wir – verständlicherweise – enttäuscht. Wie die Großmutter sich wohl bei ihrem nächsten Besuch verhalten wird? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur aus eigener Erfahrung, dass solche Enttäuschungen nicht leicht zu verdauen sind. Wiederholen sie sich, machen wir uns unsere Gedanken, wenden wir uns womöglich ab und verzichten künftig aufs Geschenke Machen. Dankbarkeit hingegen beflügelt, macht die Geber glücklich und spornt zu weiteren Geschenken an. So ist das im Leben. Und so ist da bei Gott. Darüber erzählt Jesus in noch viel schöneren Gleichnissen als ich soeben. Gott schenkt gerne und überreichlich und freut sich wie ein kleines Kind, wenn seine Geschenke gut ankommen. Wenn wir Menschen sie wertschätzen und uns dankbar zeigen – mit einem Lied, mit einem Gebet oder indem wir unsere Freude an andere Menschen weitergeben.
So menschlich und gefühlsbetont ist Gott, sagt die Bibel. Das bringt ihn uns nah. Mit diesem Gott können wir umgehen – wir müssen nur in den Spiegel schauen und können erahnen, wie er denkt und was er von uns erwartet. Aber er erwartet nicht nur, er hat auch viel zu geben. Von diesem Gott dürfen wir uns eigentlich alles wünschen – ein Leben voller Sinn und Zufriedenheit, ein Leben in Frieden, mit einem guten Ziel, kurz: Ein Leben in Fülle. All das hält er für uns bereit. Er teilt jedem von uns reichlich Geschenke aus; viele Gaben und Talente zum Beispiel, die unser Leben und das unserer Mitmenschen bereichern. Dazu Ideen und Visionen, auch Menschen, die er uns zur Seite stellt, wenn wir sie brauchen. Er schenkt uns Zeit zum Leben, Zeit zum Arbeiten, Zeit zum Erholen, Zeit für die Liebe, Zeit für alles Mögliche, was zu einem gelungenen Leben dazugehört. Sicher – hier und da mutet uns Gott auch Erfahrungen zu, die weh tun und die wir nicht verstehen. Enttäuschungen, wie sie die Großmutter im Gleichnis erlebt hat. Warnschüsse und Einschläge, die uns zum Nachdenken bringen und uns wieder aufs Wesentliche ausrichten sollen. Gott will, dass wir leben, er will, dass alle Kreaturen leben – Menschen, Tiere und Pflanzen. Dafür schenkt er uns täglich Luft zum Atmen und noch so vieles mehr dazu.
Liebe Festgemeinde, wenn ich ehrlich bin, bin ich durchaus nicht immer dankbar für dieses mein Leben. Wenn etwa dicke Luft herrscht oder die Luft zum Atmen dünn wird. Wenn ich vor lauter Arbeit kaum noch Luft schnappen kann, oder wenn ich in der Kritik stehe, so dass es mir schier den Atem verschlägt. An solchen Tagen gehe ich schon mal ziemlich genervt durch die Gegend und falle meiner Umgebung gewaltig auf den Wecker. Es gibt Phasen, da hadere ich mit meinem Schicksal, bin lustlos und larmoyant. Dann haben meine Mitmenschen wenig Freude an mir. Was mir dann hilft, ist, wenn mich meine Liebsten mit viel Liebe und Geduld begleiten, mich aushalten und mich auf andere Gedanken bringen. So wie diese hübsche Retriever-Hündin Paule hier, die alle Stimmungslagen registriert und mich zum Staunen und Lachen bringt, auch wenn mir gar nicht danach zumute ist. Diese wunderbare Kreatur, die sogar Demenzkranke aus ihrem Schattendasein holen und ein Lächeln auf ihre Lippen zaubern kann. Für solche Zuwendung – egal von Mensch oder Tier – bin ich dankbar und sehe darin kleine, aber feine Geschenke Gottes, des Schöpfers: Er hat alles so gut eingerichtet; der Blick in die Schöpfung erfüllt uns täglich mit neuem Leben. Ein kleines Lächeln schon, der treue Blick eines Vierbeiners oder die überwältigende Blütenpracht auf unseren Wiesen können die Lebensgeister in uns wecken.
Ja, dieser Gott, der so unermesslich groß ist, wie der Psalm sagt, und der uns doch so nah ist mit seinen Geschenken und Erwartungen – er sorgt für uns alle und hat uns dazu berufen, sein Lob auf dieser Welt zu verbreiten. Alle sollen es hören, wie dankbar wir Kirchentagsbesucher auf dem Lienhardplatz sind. Alle sollen von unserer Freude, von unserer positiven Lebenseinstellung und Dankbarkeit profitieren – heute und jeden Tag neu. Gott hat uns das Leben geschenkt und uns überreich mit allem Möglichen gemacht – das ist Grund zu tiefer Dankbarkeit. Aber das zieht auch eine Verantwortung, einen Auftrag nach sich: Wir sind von Jesus offiziell beauftragt, als Licht der Welt und Salz der Erde von unserer Fülle abzugeben an diejenigen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, vor unserer Haustür, in fremden und doch so nahen Ländern, in den Altenheimen dieser Stadt genauso wie in den Favelas Brasiliens. Im Stress unseres Straßenverkehrs wie in der Hektik unserer Fußgängerzonen.
Alles, was atmet, lobe den Herrn – alles, was atmet, verbreite den Hauch von Gerechtigkeit, von Frieden und von einem Leben in Fülle!
Amen.
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Predigt Trinitatis, 19. Juni 2011
Wuppertal-Dönberg
Predigttext: Jes 6,1-13 (Berufung Jesajas)
Liebe Gemeinde
was haben folgende Fälle gemeinsam? Erster Fall: Er war wieder einmal zu spät aufgestanden, zu spät aus dem Haus gekommen, leicht verpeilt wie so oft, zur Arbeit gestartet auf den letzten Drücker. Rein ins Auto, Gas gegeben, und dann das: Ein Trecker mit Tempo 20 statt 70, was erlaubt gewesen wäre. Der ganze geniale Zeitplan dahin, wieder zu spät. Der Anschiss vom Chef folgte auf dem Fuß, es war ja nicht das erste Mal. Zweiter Fall: Sie hatte alle guten Vorsätze, die man braucht, um das Leben wieder in den Griff zu bekommen. Nie mehr Alkohol, so lautete ihr Vorsatz. Doch dann ließ sie sich doch überreden – ein Gläschen zur Feier, komm, zier Dich nicht so. Lecker war´s ja – aber wieder reingefallen, und der Appetit auf Alk war lebendiger als je zuvor. Die Depression folgte auf dem Fuß, es war ja nicht das erste Mal. Dritter Fall: Er konnte es einfach nicht lassen. Kaum hatte er (mal wieder) eine neue Partnerin, dieses Mal eine echt nette, eine, die was auf dem Kasten hatte, fing er schon wieder an mit seiner unnachahmlichen, coolen Machoart. Er musste eben zeigen, was er für ein Kerl war; vielleicht musste er auch seine Unsicherheit überspielen, wer weiß. Er hatte es sich so vorgenommen, es diesmal anders anzupacken, doch da war er wieder, der ewig gleiche Kerl. Die Quittung folgte auf dem Fuß, er saß wieder alleine da, und es war nicht das erste Mal.
Was haben diese drei Fälle gemeinsam? Sie haben es längst bemerkt: Es geht um eine gewisse Art der Schwerhörigkeit. Alle drei Personen waren unfähig, aus ihren Fehlern zu lernen. Alle drei hatten schon mehrfach ihre Lektion bekommen – ohne Aussicht auf Besserung. Der innere Schweinehund war einfach zu groß, die Lernwilligkeit eher gering. Bräsig, würden wir sagen, verpeilt, unverbesserlich, hoffnungslose Fälle. Da redest du wie an eine Wand, da bewegst du gar nichts. Der Leidensdruck ist offensichtlich noch nicht groß genug, die Lektionen sind noch nicht deutlich genug. Was muss geschehen, damit er oder sie endlich aufwacht und dem Leben eine neue Richtung gibt?
Bitte behalten Sie diese drei Fälle im Hinterkopf. Ich werde jetzt erst einmal den Predigttext lesen und später auf diese Fälle zurückkommen. Im Predigttext Jes 6,1-13 geht es um die Schwerhörigkeit eines ganzen Volkes.
— Lesung Jes 6,1-13 –
1 In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel.
2 Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie.
3 Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!
4 Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch.
5 Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.
6 Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm,
7 und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.
8 Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich!
9 Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet’s nicht; sehet und merket’s nicht!
10 Verstocke das Herz dieses Volks und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.
11 Ich aber sprach: Herr, wie lange? Er sprach: Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt.
12 Denn der HERR wird die Menschen weit wegtun, sodass das Land sehr verlassen sein wird.
13 Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.
Liebe Gemeinde, was für ein mythisches Bild wird uns hier vor Augen geführt. Von sechsflügeligen Serafim ist hier die Rede, sie sind die Leibgarde des Gottes Israels. Der wiederum ist so riesengroß, dass der Saum seines Gewandes den Jerusalemer Tempel, immerhin ein Prachtbau von sagenhaften 185 x 15 Metern, komplett ausfüllt. So bizarr und grell ist seine Herrlichkeit, dass sich die Serafim die Augen zuhalten müssen, um nicht geblendet zu werden. Ihr Lobgesang ist so gewaltig wie tausend Lautsprecherboxen auf einmal, so dass der Tempel ins Wanken kommt. Und mittendrin in dem apokalyptischen Spektakel, das anmutet wie Tsunami, Vulkanausbruch und Atomexplosion auf einmal, steht der kleine Jesaja und fürchtet das Schlimmste: „Weh mir, ich vergehe!“ Und dann wird ihm auch noch der Mund mit einer glühenden Kohle verbrannt. Das alles hört sich an wie ein fieser Alptraum. Das ist die Beschreibung von der Berufung Jesajas zum Propheten. Da ist nichts Beglückendes, keine wunderbare Vision, da sind nur Schrecken, Angst und Qual. Vollends quälerisch, ja geradezu sadistisch mutet sein Auftrag an: „Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet´s nicht; sehet und merket´s nicht. Verstocke das Herz dieses Volks und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.“
Mal ehrlich: Würden Sie sich für so einen Auftrag zur Verfügung stellen? Das ist ja wohl die undankbarste Aufgabe, die man sich vorstellen kann. Wir wissen nicht, wie Jesaja reagiert hat. Wir wissen aber von anderen Propheten, dass sie erst einmal dankend abgelehnt haben. Woher soll denn auch die Motivation kommen? Wenn man sich schon solchen Qualen aussetzen, sein Leben investieren und auf Karriere verzichten soll um der höheren Berufung willen, dann muss doch etwas dabei rumkommen. Ein Ergebnis, das einen zufrieden stellt, wo man hinterher sagen kann: Es war zwar mühsam, aber es hat sich gelohnt! Nein, Jesaja bekommt einen geradezu kontraproduktiven Auftrag: Er soll sich für den Gott Israels verwenden, nur um die Schwerhörigkeit des Volkes aufzudecken. Er kann das Schlimmste am Ende nicht verhindern, er muss dabei zusehen, muss sich möglicherweise noch anmachen lassen für sein frommes Gerede und den erhobenen moralischen Zeigefinger. Trotzdem muss er ran, er kann sich diesem undankbaren Job nicht entziehen. Frustrierend ist das und deprimierend dazu.
Wissen Sie was? Mir kommen gerade Heerscharen von Eltern in den Sinn, dazu Lehrerinnen und Lehrern mit besten pädagogischen Vorsätzen, Pastorinnen und Pastoren mit Charisma und Politiker mit Visionen. Sie haben alle schon ähnliche Erfahrungen gemacht wie Jesaja. Alles für die Katz oder jedenfalls sehr viel vergebliche Liebesmüh, mindestens 90% für den Papierkorb. Was hält sie bei der Stange? Was hält Eltern bei der Stange, die bei ihren pubertierenden Sprösslingen Tag für Tag auf Granit beißen und sich die Packung abholen? Was gibt Pädagogen den Impuls, sich nicht frühverrenten zu lassen, sondern oftmals über das Soll hinaus ihre Kinder zu begleiten und zu fördern? Was ist der frische Wind, den Pastoren benötigen, um über die Jahre nicht auszubrennen und eintönig zu werden? Was gibt Politikern angesichts denkbar schlechter Vertrauenswerte den Kick, sich in der Öffentlichkeit und in unzähligen Sitzungen aufzureiben? Dafür gibt es eigentlich nur eine Erklärung: Liebe zum Beruf und Liebe zum Menschen. Und dazu die feste Gewissheit, dass das persönliche Engagement wichtig und richtig ist. Wenn der erste Berufselan erst einmal nachgelassen hat und sich Ernüchterung breit macht, dann helfen hoffentlich kleine Lichtblicke, die es im Beruf und im Elterndasein immer auch geben sollte: Der eine Schüler, der sich nach Jahren doch nicht als hoffnungsloser, renitenter Fall, sondern als staunenswerter und vielleicht sogar dankbarer Glücksfall herausstellt; das Kind, das sich von der Raupe Nimmersatt in einen ansehnlichen Schmetterling verwandelt hat; Gemeindeglieder, die sich ausdrücklich für die guten Worte des Pfarrers bedanken oder die eine politische Reform, die man gegen alle Widerstände durchgekriegt hat. Der eine, kleine Erfolg kann so vieles an Frust abfedern. Möge es immer solche Inseln der Bestätigung geben!
Liebe Gemeinde, Ob Jesaja ein solches Erfolgserlebnis vergönnt war, bleibt in unserem Predigttext offen. Immerhin endet der Text nicht ohne die Aussicht auf Erfolg. Da ist von einem „heiligen Rest“ die Rede, von einem „heiligen Samen“, der aufgehen kann, nachdem der morsche Baum abgehauen wurde. Die Grundsanierung des Volkes Israel führte zu einem Keim großer Hoffnung, wenn auch sehr viel später. Israel musste erst noch seine Lektion lernen. Sein Leidensdruck war noch nicht groß genug, seine Schwerhörigkeit enorm! Und es brauchte die Propheten, damit die Zusammenhänge klar wurden: Politische Niederlagen, das Babylonische Exil – alles Folgen fehlender Lernwilligkeit! So konnte sich Israel nicht herausreden. Wie unsere drei Fälle am Anfang der Predigt. Manchmal dauert es eben ein bisschen länger und die Einschläge müssen deutlicher werden. Manchmal wachen wir erst spät auf, manchmal fast zu spät. Dieser gewaltige Herr Zebaoth, dessen Herrlichkeit selbst die Engel blendet – er meint es ja gut mit seinem Volk, und er meint es gut mit uns. Doch ohne Einschläge scheint es bei uns nicht zu funktionieren. Da sind wir nicht anders als Israel. Es käme darauf an, die Einschläge richtig einzuordnen und aus ihnen zu lernen. Nicht die Frage: Warum hat Gott das zugelassen? hilft weiter, so verständlich sie oft ist. Sondern die Frage: Was will mir Gott damit signalisieren? Was sollte ich ändern, vielleicht dringend ändern, damit mein Leben wieder in bessere Bahnen kommt?
Das bessere Leben – das ist Gottes Masterplan für uns. Manchmal muss er uns ein bisschen anstupfen, provozieren. Manchmal muss er uns auch vor die Pumpe laufen lassen, weil wir es anders nicht kapieren. So wie neulich mit Fukushima. Der atomare GAU übertönte sogar die Schwerhörigkeit unserer Regierung. Fünf vor zwölf, mochte man sagen. Wie Israel damals müssen wir heute unsere Lektion lernen. Propheten gab es und gibt es genug, die uns die Zusammenhänge erklären. Jetzt müssen wir „nur“ noch in die Puschen kommen und ernst machen mit dem Ausstieg aus unserer Bräsigkeit. Umdenken ist ein ziemlich zähes Geschäft…. Sich etwas sagen lassen, auch wenn wir nicht hören wollen! Die Augen aufmachen, auch wenn wir sie am liebsten verschließen würden! Aufstehen, auch wenn wir am liebsten im Bett bleiben würden. Dabei ruht auf uns, gerade auf uns hier heute Morgen, eine enorme Hoffnung. Jesus nennt uns Christinnen und Christen in der Bergpredigt Salz der Erde und Licht der Welt. Wenn wir denn unsere Lektionen im Leben gelernt haben – dann können und sollen wir anderen auf ihrem Lebensweg weiterhelfen, dann können und sollen wir Vorbilder sein im neuen Denken. Unsere Kinder brauchen uns als liebevolle, geduldige und konsequente Begleiter. Unsere Jugendlichen suchen bei uns Orientierung und Ermutigung. Sind wir schon so frustriert und ausgebrannt, dass wir dazu nicht mehr taugen? Ich glaube nicht, wenn ich Sie hier so sitzen sehe. Da ist eine ganze Menge möglich! Auch wenn wir den Eindruck haben, wir könnten nicht viel tun oder ändern. Auch wenn die Statistik oder der gefühlte, geringe Erfolg etwas anderes sagen: Unser Einsatz lohnt sich! Selbst aus 5% können auf lange Sicht locker 100% Erfolgsrate werden! Die Zahl der aktiven Gemeindeglieder beträgt ungefähr 5% der Getauften. An uns 5% liegt es, dass die Jugend den Glauben an das Gute, die Vision vom besseren Leben nicht verliert! Wir sind das Salz in der Suppe des alltäglichen Allerleis und das Licht in der Welt der tausend Lichter. Mit dieser Bestimmung sind wir nicht allein – Gott kümmert sich um uns und lässt uns auf unserem Weg nicht verhungern. Er schenkt uns unsere tägliche Insel, die kleinen Erfolgserlebnisse, die wir brauchen, da bin ich ganz sicher. Gott meint es gut mit uns allen und stellt uns in die Welt, damit wir das weitersagen als seine Propheten. Wir sind Jesaja. Das ist nicht immer leicht, aber es lohnt sich am Ende ganz gewiss.
Amen.
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Kurzpredigt 13. 3.2011 Wuppertal-Dönberg
Predigttext: Mt 4,1-11 (Die Versuchung Jesu)
Themagottesdienst: In der Welt der tausend Lichter
Liebe Gemeinde, liebe Katechumeninnen und Katechumenen,
wir leben in einer Welt der tausend Lichter. Sie sind faszinierend, sie haben eine magische Anziehungskraft und sorgen für Verwirrung. Die Lichter heißen: Las Vegas, Hollywood, glitzernde Sternchen am Pophimmel, strahlende Politiker, verlockende Angebote unserer Konsumlandschaft, Lotto oder Traum vom großen Geld. Jedes noch so kleine Licht setzt sich in Szene, versucht uns zu erreichen, uns in den Bann zu ziehen, vielleicht sogar, uns in Abhängigkeit zu bringen. Und wir – wir fallen immer wieder darauf rein, so wie meine Lebensgefährtin und ich vor einiger Zeit, als wir uns gegen alle Gewohnheit und alle Vernunft am Telefon zu einem günstigen Urlaub überreden ließen. Der Preis: Das Jahresabo einer Zeitschrift. Wir sind rechtzeitig da wieder ´rausgekommen, und wir haben Lehrgeld bezahlt. Glück gehabt, aber ein Signal war es: Trotz aller Warnungen, aller Vernunft sind wir immer wieder zu ködern, mit dem vermeintlich supergünstigen Angebot, mit der einmaligen Gelegenheit. Wie Marktschreier preisen sie uns ihre mehr oder weniger unnötigen Produkte schon früh am Morgen im Radio an, mit hellen Leuchtreklamen ziehen sie unsere Aufmerksamkeit auf sich, mit einschmeichelnder oder aufpeitschender Musik verführen sie uns zum Konsumrausch. Wir sind geil auf geil, eine Party braucht nen richtigen Kick, die ruhigen Töne sind unattraktiv. Unterricht muss unterhaltsam sein, am besten mit vielseitigen und modernen Medien. Wer als Lehrer oder Hochschullehrer ganz normale Vorlesung macht, hat keine Chance auf den Lehrpreis und bekommt von den Schülerinnen und Studis schlechte Noten. Das Thema ist dabei mehr oder weniger egal; selbst ein meditativer Abend zum Thema Klosterleben muss mit Powerpoint und hell strahlendem Beamer vorgetragen werden, sonst war das Ganze „mangelhaft“, durchgefallen.
Wir sind auf tausend und mehr Lichter geeicht, kleine Kerzen übersehen wir. Doch bei Vielen von uns wächst die Sehnsucht nach Ruhe, nach einem tieferen Sinn hinter den vielfältigen Ablenkungen des Alltags. Viele sind unzufrieden, trotz finanziellen Wohlstands, oder, wie Joshua es vorhin formulierte: Wenn ich mir alles gönne, dann habe ich keine Träume mehr. Die vielen Träume auf der einen Seite und auf der anderen der eine Traum vom sinnerfüllten Leben. Den möchte ihn in dieser kurzen Ansprache zur Sprache bringen. Was macht das Leben sinnvoll? Was bewahrt uns vor Unzufriedenheit und Depression? Erfahrungsgemäß nicht immer neuer Konsumrausch oder, wie Vanessa es formulierte: Noch ne Shoppingtour, mal eben nach New York. Das ist sicher auch mal schön, aber…. Auf Dauer gesehen, sind es andere Sachen, die Freude machen: Liebe, Anerkennung als Mensch, so wie ich bin, ein Lächeln, ein gutes Wort am Tag, der Eindruck, gebraucht und geliebt zu werden, eine Person des Vertrauens zu sein, Freunde zu haben, auf die man bauen kann, ein Stück mehr Menschlichkeit statt Ellenbogen, Geborgenheit in der Familie und beim Partner, Frieden, und nicht zu vergessen: die Erfahrung von Vergebung und Versöhnung. Dazu die Freiheit von den vielen Süchten und Gefängnissen unserer Zeit, Inseln der inneren Erholung und die Gewissheit, dass mich etwas im Leben stützen kann, egal was passiert. Denn tausend Lichter können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es letztlich in unserem Leben keine Sicherheit gibt, dass ständig irgendetwas passieren kann, was uns bedroht und von heute auf morgen alles in Frage stellt. Wir konnten es live erleben beim vorletzten „Wetten dass“ und soeben in den schrecklichen Bildern aus Japan. Gebe Gott, dass da nicht noch mehr passiert, Gebe Gott, dass die Menschen dort Hilfe finden, ein neues Dach über dem Kopf, Wärme, Liebe, Zuwendung, Trost.
Liebe Katechumenen, liebe Gemeinde, es ist eigentlich wunderbar, in dieser unserer Welt zu leben. Wir sind weitestgehend frei von Existenzängsten, sind mobil, haben es warm, können mit aller Welt kommunizieren. Das ist ein großer Segen, über den wir dankbar sein können. Ich wünsche mir, Euch und Ihnen, dass wir darüber nicht vergessen, was das Leben trägt und hält, was es sinnvoll macht und lebens-wert erscheinen lässt. Wir haben alle unsere Fähigkeiten, die wir dazu einbringen können. Der eine kann gut zuhören, der Nächste Dinge auf den Punkt bringen, der Dritte ist handwerklich gut drauf, der Vierte ein toller Unterhalter, der Nächste macht super Musik, ein Anderer kann Dichten, wieder Einer genial unterrichten und motivieren. Und so weiter, und so fort. Wir haben alle Gaben, die wir füreinander einsetzen können. Das ist ein großes Gut und allemal besser, als immer nur seinen eigenen Weg zu gehen. Ich denke, keiner kommt von uns zu kurz, und das Überraschende ist: Je mehr wir unser Ego für Andere einsetzen, desto besser geht es uns. Der andere Weg führt in die Einsamkeit, in die Depression. Wo wir uns gegenseitig mit unseren Gaben bereichern, da wird sichtbar, was unser Leben trägt und bereichert. Da wird Gott selber sichtbar, der unser letzter Halt ist im Leben. Er hat die Versuchungen unserer Welt überwunden und uns Freiheit verschafft. An ihm können wir uns orientieren im Leben. Er ist das eine Licht in der Welt der tausend Lichter.
Amen
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Predigt 23. Januar 2011, Wuppertal-Dönberg
Predigttext: Joh 4,46-54
Motto: Der Glaube und die Wunder
Liebe Gemeinde,
was sagt Ihnen das Wörtchen „einfach“? Ich kenne es von vielen Gesprächen und Interviews, dieses Alltagswort, das wir viel häufiger benutzen, als uns selbst bewusst ist. „Du musst einfach schauen, dass Du nicht in ein Schlagloch fährst“ oder: „Können die Politiker den verschuldeten Ländern nicht einfach die Schulden erlassen?“ oder: „Du musst einfach was tun, dann schaffst Du Deine Prüfung schon!“ Sie sehen: Das Wörtchen „einfach“ führen wir immer dann im Mund, wenn´s schwierig wird und wir das eigentliche Problem nicht verstehen können oder wollen. Wer „einfach“ sagt und das gar noch mit „mal eben“ garniert, macht es sich ziemlich einfach. Das Wörtchen ist verräterisch und weist auf etwas hin, was gerade nicht „einfach“ ist. Wer kann schon den vielen Schlaglöchern so einfach ausweichen? Wer kann schon so einfach irgendwelche Schulden erlassen? Wer kann schon so einfach mal eben eine schwierige Prüfung bestehen?! Mit dem Wörtchen „gewiss“ ist es übrigens ganz ähnlich: Sprechen wir von einer gewissen Anzahl Menschen, ist diese Anzahl gerade ungewiss. Ja, unsere Sprache ist schon lustig manchmal.
Kommen wir wieder zum Wörtchen „einfach“ zurück: Unser Predigttext erzählt von einem Wunder, das Jesus so mal eben ganz einfach vollzieht und damit ein Leben rettet. Ich lese Joh 4,46-54:
46 Und Jesus kam abermals nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte.
Und es war ein Mann im Dienst des Königs; dessen Sohn lag krank in Kapernaum.
47 Dieser hörte, dass Jesus aus Judäa nach Galiläa kam,
und ging hin zu ihm und bat ihn, herabzukommen und seinem Sohn zu helfen;
denn der war todkrank.
48 Und Jesus sprach zu ihm:
Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht.
49 Der Mann sprach zu ihm: Herr, komm herab, ehe mein Kind stirbt!
50 Jesus spricht zu ihm: Geh hin, dein Sohn lebt!
Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin.
51 Und während er hinabging, begegneten ihm seine Knechte und sagten:
Dein Kind lebt.
52 Da erforschte er von ihnen die Stunde, in der es besser mit ihm geworden war.
Und sie antworteten ihm: Gestern um die siebente Stunde verließ ihn das Fieber.
53 Da merkte der Vater, dass es die Stunde war, in der Jesus zu ihm gesagt hatte:
Dein Sohn lebt. Und er glaubte mit seinem ganzen Hause.
54 Das ist nun das zweite Zeichen, das Jesus tat, als er aus Judäa nach Galiläa kam.
Liebe Gemeinde, wenn doch alles so einfach wäre wie dieses Wunder hier! Jesus sagt einfach etwas, und schon wird irgendwo anders ein Kind fieberfrei. Ich erinnere mich noch gut, wie mein Ältester, damals gerade mal fünf Jahre alt, mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus kam. Nichts war einfach – kein Antibiotikum schlug an, es war einfach zum Verzweifeln. Unsere Hoffnung hing an einem seidenen Faden und unser Vertrauen an den medizinischen Möglichkeiten. Wir hatten Glück, im letzten Moment sozusagen, und der Junge absolviert inzwischen erfolgreich sein Studium. Bei Jesus war es da viel einfacher. Der königliche Beamte setzte seine Hoffnung in diesen Menschen, den er wohl vom Hörensagen her kannte, und hatte Glück. Das mit dem Wundertäter hatte funktioniert, auf die Minute genau wurde sein Sohn gesund, wie sich hinterher herausstellte. Schade, dass es solch eindeutige und schöne Wunder heute nicht mehr gibt!
Schauen wir uns einmal den Wundertäter etwas genauer an. Ein bisschen seltsam ist es schon: Da wird Jesus um Hilfe gebeten, und offensichtlich ist das Wundertun auch kein Problem für ihn. Er kann es, das weiß er. Aber er sinniert erst einmal vor sich hin: „Ihr glaubt nicht, es sei denn, ihr seht Zeichen und Wunder…“ Was soll dieser Ausspruch? Ist Jesus sauer, hat er keine Lust, Wunder zu tun, verzweifelt er an der ungläubigen Menschheit, oder was ist das? Ich denke, er denkt laut. Es war ja nicht das erste Wunder, um das er gebeten wurde. Damals, bei der Hochzeit in Kana, hatte er Wasser in Wein verwandelt. Aber auch nicht, ohne erst einmal klarzustellen: Nicht, wie ihr wollt, sondern wann und wie ich will! Und bei diesem neuerlichen Wunder dämmert ihm wohl, dass wir Menschen Zeichen und Wunder brauchen, um glauben zu können. Ohne Zeichen und Wunder kein Glaube. Es sieht fast so aus, als ginge es Jesus gar nicht um die Heilung eines todkranken Jungen, sondern um etwas anderes – um den Glauben. Das Wunder ist nach diesem Text Mittel zum Zweck, nicht mehr und nicht weniger. Schöner wäre es, wir würden auch ohne glauben – einfach so! Das funktioniert aber nicht, weil wir etwas für unsere fünf Sinne brauchen – Zeichen, Beweise, Symbole, was zum Anschauen und Anfassen eben. Ob ein Kleidungsstück gute Qualität hat oder nicht, entscheiden unsere Hände, die es im Modeladen befühlen und betatschen. Den Worten der Verkäuferin trauen wir nicht. Genauso wenig, wie wir Jesus trauen würden, wenn er uns einfach nur nach Hause schicken würde mit der Auskunft, das kranke Kind sei gesund und lebe. Und wir heute, wir aufgeklärten Menschen, tun uns sogar mit den Wundern Jesu schwer – denn: Was nicht sein darf, kann auch nicht sein. Oder wie Goethe es formulierte: Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind! Bei Jesus ist es umgekehrt: Der Glaube ist des Wunders liebstes Kind!
Und noch etwas fällt bei dem Wundertäter auf: Jesus tut rein gar nichts, was in einen Personenkult münden könnte. Er sucht keine Publicity, er macht keine Show um sein Wunder, er heilt – einfach so, ohne Brimborium. Er stellt sich nicht in den Mittelpunkt, er erwartet keine Be-wunderung, nicht einmal ein Dankeschön. Er erklärt auch nicht, was er tut, er interessiert sich nicht einmal für den kranken Jungen oder für den Job des Beamten. Völlig unspektakulär vollzieht er die Heilung, und es kommt zu keinem weiteren Kontakt mit dem Bittsteller. Alleine eine Bemerkung am Schluss der kurzen Erzählung ist wichtig: Der Beamte kommt mitsamt seiner Familie zum Glauben. Nachdem er zuvor Jesus einen Vertrauensvorschuss gewährt hatte, kommt der Beamte nun mit der ganzen Familie zum Glauben. Das alleine zählt, das Mittel hat seinen Zweck erfüllt.
Liebe Gemeinde, eine Frage blieb bislang unberührt, drängt sich aber mehr und mehr auf: Auf welchen Glauben läuft es bei Jesus eigentlich hinaus? Woran sollen wir Menschen glauben? Offenbar nicht an ihn als Wundertäter. Sonst hätte er mehr aus dieser Gelegenheit gemacht. So wie geschulte Politiker, die eine Katastrophe in ihrem Wahlkreis nutzen, um Stimmung für sich zu machen. Ein hübsches Foto mit einem verletzten Kind auf dem Arm, ein paar kernige Sätze zur Verantwortung der politischen Gegner – das und mehr davon gehört zum festen Ritual bei solchen Gelegenheiten. Nicht so Jesus: Er verzichtet auf all das und wundert sich nur, dass der Glaube ohne Zeichen und Wunder anscheinend nicht funktioniert. Der Glaube woran, wenn nicht an den Wundertäter?
Darüber gibt uns das erste Kapitel des Johannesevangeliums Auskunft. Jesus wird hier vorgestellt als derjenige, der uns erzählen kann, wer Gott ist. Keiner kennt ihn so wie er, der auf seinem Schoß saß. Er hat sozusagen die Exklusivrechte, um von Gott zu erzählen. Es geht ihm also um Gott und darum, dass wir Menschen Gott erkennen und an ihn glauben. Eigentlich sollte es hierfür genügen, etwas von Gott zu erzählen. In den Gleichnissen Jesu passiert genau das: Wir erkennen etwas von Gott, davon, wie er denkt und fühlt, worüber er sich freut oder ärgert. Aber es genügt eben nicht, das zeigt die Erfahrung Jesu. Es hapert mit der Glaubensfähigkeit „einfach so“ – auf Zuruf und auf werbende Worte hin. Taten wollen wir sehen, und wer kann es uns verdenken, bei der Inflation von Werbung, die uns schon morgens früh aus dem Radio entgegen schreit?! Für viele Menschen war Jesus auch nur einer von vielen Wichtigtuern und selbsternannten Heilspropheten – wie sollte man ihm trauen? Gerade hatte er in Jerusalem den Tempel gesäubert, aber mit welchem Recht eigentlich? Und überhaupt: Aus Galiläa kann kein Heilsbringer kommen! Dieses Vorurteil war fest in den Köpfen der Menschen verankert. Nein, so einfach war und ist das mit dem Glauben nicht. Wir Menschen brauchen „harte Fakten“, dann lassen wir uns vielleicht umstimmen. Das musste auch Jesus lernen.
Aber: Jesus lamentiert nicht lange darüber, er belässt es bei einem kurzen lauten Nachdenken und gibt dem menschlichen Bedürfnis nach. Er heilt den Jungen ohne Zipp und Zapp – Hauptsache, es hilft zum Glauben. Zum Glauben an den Gott, den er zu veröffentlichen hat. Zum Glauben an den Vater im Himmel. „Keiner kommt zum Vater, außer durch mich“, heißt es in Joh 14. Dass Gott ein Vater ist, der sich um uns Menschen väterlich (oder auch mütterlich) kümmert, dass wir diesem Gott wichtig sind, egal ob uns andere Menschen wichtig nehmen oder nicht, dass Gott nur unser Bestes will und es uns auch zukommen lässt, das gehört zu Jesu froher Botschaft. Gott will, dass wir gut leben, und er führt uns immer auf eine saftige Weide, wie es in Ps 23 so schön heißt. Er weiß, was für uns gut ist und zeigt uns den Weg zum vollen Leben. Für Gott sind wir einzigartig und wichtig – jeder und jede von uns, ohne Unterschied.
In der Taufe haben wir diese Zusage erhalten: „Du bist einzig, bist geliebt von Gott. Ja, er kennt dich und er lenkt dich, steht zu seinem Wort.“ Das haben wir gerade gesungen. Und das vollzieht Gott ganz unspektakulär. Wunder sind da wirklich die Ausnahme. Bei Gott zählen die leisen Töne und die versteckten Zeichen. Manchmal können wir sie in unserem Leben entdecken – wenn wir sie entdecken wollen. Die scheinbar zufällige Begegnung, die Beahrung vor dem Verkehrsunfall, die Genesung von einer nicht so einfachen Krankheit. Wenn wir solche Zeichen entdecken, dann bekommt unser Leben, mit all seinen Um- und Irrwegen, einen Sinn und ein Ziel. Solche Um- und Irrwege allerdings erspart uns der väterliche Gott nicht. Das wäre wohl zu einfach. Unser Leben ist, wie es ist, und oftmals sehen wir nicht, wie es weitergehen könnte. Und warum manches passiert, können wir nicht erklären. Dass Krisen auch Chancen sind, das sagen uns die Psychotherapeuten, aber es ist eigentlich eine zutiefst religiöse Erfahrung: Gott macht unsere krummen Wege gerade, er ist bei uns und hält uns, wenn wir den Boden unter den Füßen zu verlieren drohen.
Wer bei dem Glauben an den himmlischen Vatergott am Ball bleibt, kann spätestens am Ende, in der Rückschau auf den eigenen Lebenslauf, die gute Führung Gottes entdecken. Entdecken, dass das eigene Leben geglückt ist, auch wenn viele Fragen offen geblieben sind. Dieser Weg ist gewiss nicht immer einfach, aber, wie gerade viele ältere Menschen bestätigen, ein lohnender Weg mit einem wunderbaren Ziel. Diese Erfahrung wünsche ich Ihnen und mir an diesem Sonntag und in der Zeit, die kommt!
Amen.
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Predigt 17. Oktober 2010
Evang. Kirche Wuppertal-Dönberg
Predigttext: 1. Thessalonicher 4,1-12
Motto: Die besondere Predigt
Liebe Gemeinde,
das Besondere an der heutigen Predigt ist das Wörtchen „besonders.“ Wissen Sie, was der Familienname Sondermann bedeutet? Er kommt in dieser Gegend häufiger vor, und ich habe mich schon oft gefragt, was er eigentlich meint. Ich glaube, er hängt mit dem Begriff „Sondern“ zusammen. Ein Sondern ist ein Anwesen oder ein Gehöft außerhalb der Dorfgrenzen. Ein solcher Hof ist „ausgesondert“, jenseits der Dorfgemeinschaft. Ein Sondermann war, wenn ich richtig sehe, ursprünglich einer, der von außerhalb kam oder außerhalb wohnte. Noch heute erinnern Begriffe wie „Sonderling“ oder „sonderbar“ an diese Außenseiterrolle. Ein Sonderling passt nicht so recht in die Gemeinschaft, und was uns fremd ist, nennen wir „sonderbar“. Etwas „Besonderes“ ist dagegen ein deutlich positiverer Begriff; er bezeichnet etwas Einmaliges, Unverwechselbares, Wertvolles. Etwas, was sich aus der breiten Masse heraushebt. So haben etwa Sondermodelle eine besondere Anziehungskraft auf Autokäufer – so eine Sonderausstattung ist ja auch was Feines, besonders, wenn man sie quasi geschenkt bekommt.
In unserem heutigen Predigttext aus dem 4. Kapitel des 1. Thessalonicherbriefes kommt das Wörtchen „besonders“ zwar nicht vor. Dennoch liest er sich wie die Anpreisung eines Sondermodells. Wie ein moderner Autoverkäufer preist der Apostel Paulus die christliche Gemeinschaft von Thessaloniki an. Sie ist ein Sondermodell Gottes mit einer exklusiven Sonderausstattung und einem besonderen Auftrag. Was gibt mir aber das Recht, einen Text so zu lesen, in dem das Wörtchen „sonder“ oder „besonders“ gar nicht vorkommt? Ganz einfach: Das, was wir etwas ganz Besonderes nennen, nennt die Bibel „heilig“ bzw. „Heiligtum“. Heilig meint nichts anderes als etwas Ausgesondertes, zu Gott Gehöriges, etwas, was Gott ganz besonders wichtig und wertvoll ist. So, wie wir auch schon einmal von dem sprechen, was uns heilig ist. Etwas, was für uns ganz besonders wichtig, ja unantastbar ist. Unser Feierabend zum Beispiel, der Sonntag, der Ehepartner oder eben das Auto. Ich lese den Predigttext nach der Lutherübersetzung:
— Predigttext —
Was macht eine christliche Gemeinde zu etwas Besonderem? Darauf lassen sich hoffentlich viele Antworten finden. Der Predigttext nennt vier Dinge: Erstens, die Berufung durch Gott. Christliche Gemeinschaft ist eine Erfindung Gottes. Er hat sie aus der breiten Masse herausgerufen, Gemeinde ist die Schar der Herausgerufenen, griechisch-lateinisch „Ekklesia“, zu deutsch Kirche. Zweitens, ein besonderer Auftrag: Christliche Gemeinde ist zur Heiligkeit berufen (V.7). Das heißt eben dazu, ihrem Sonderstatus gerecht zu werden. Die christliche Gemeinschaft ist Gott ganz besonders wichtig, sie ist für ihn unantastbar, sein liebstes Kind sozusagen. Auf die Kirche lässt Gott nichts kommen, und er hat etwas ganz Besonderes mit ihr vor. Damit sind wir bei drittens: Christliche Gemeinde unterscheidet sich wohltuend von allen anderen Vereinen drumherum. Sie ist auf dem Weg, vollkommen wie Gott selbst zu werden. An der Kirche kann die Welt ablesen, wie Gott selber ist und was er mit der Welt vorhat. Der vierte Punkt ist die Sonderausstattung von uns Christen: Wir haben den Heiligen Geist erhalten, wie es in Vers 8 heißt. Den Geist Gottes, der uns befähigt, unserer Bestimmung, etwas ganz Besonderes bzw. „heilig“ zu sein, gerecht zu werden. Wir sind sozusagen das Sondermodell „Esprit“, mit dem Gott seinen Langzeit-Modellversuch durchführt. Den Modellversuch, mit dem Gott der Welt zeigen will, dass es auch anders geht. Anders als im Alltag, wo einer den anderen über den Tisch zieht. Anders als unter Normalmenschen, die respektlos miteinander umgehen und denen nicht einmal familiäre Beziehungen heilig sind. Ja, wir Christinnen und Christen sind in den Augen Gottes etwas ganz Besonderes, wir sind ihm heilig! Was er uns zutraut, ist schier atemberaubend, ungeheuerlich: Wir sollen, ja wir können so vollkommen sein, wie Gott selbst! Wenn irgendwo in der Welt Gott zu sehen ist, dann bei uns – in der Art des Umgangs miteinander, in unserer vorbildlichen Lebensweise. Die Sonderausstattung mit dem Heiligen Geist macht´s möglich: Er schenkt uns Phantasie und Kraft, das Alltägliche zu überwinden, neue Wege zu gehen, hinaus aus den so genannten Sachzwängen. Er erfüllt uns mit der Sehnsucht nach einem ganz besonderen Leben, das sich nicht im Konsum oder in vollen Terminkalendern erschöpft. Und er hält uns in der Gewissheit, dass wir uns ein freies, sinnvolles und erfülltes Leben leisten können und sollen! Wir dürfen mehr vom Leben erwarten als nur Mediamarkt, MacDonalds, Bundesliga, Soap Operas oder Hartz IV. Schließlich und endlich können und sollen wir die Vision dieses besonderen Lebens in die Welt tragen – sie gilt für alle Menschen, aller Bildungsschichten und Kulturen.
Liebe Gemeinde, welch eine Berufung, welch ein Anspruch, welch eine Verantwortung?! Man könnte sich schier erdrückt und überfordert fühlen. An unserem Wesen soll die Welt genesen? Angesichts der jüngsten Skandale in unseren Kirchen, gerade in Sachen Unzucht und Finanzen, aber auch angesichts unserer skandalträchtigen Kirchengeschichte, scheint das alles eine Farce zu sein. Papier ist geduldig, so sind es auch die Blätter des Ersten Thessalonicherbriefs. „Jesus hat das Reich Gottes angekündigt, gekommen ist die Kirche.“ Diese sarkastische Bemerkung des Franzosen Alfred Loisy von vor mehr als hundert Jahren bringt den Ist-Zustand auf den Punkt. Haben sich die Kirchen nicht spätestens mit ihren Fehlern der letzten Jahrzehnte endgültig ins Abseits katapultiert? Die Kirchenaustrittszahlen lassen das befürchten. Von vielen Menschen werden wir, die wir uns noch zur Gemeinde halten, als sonderbare Sonderlinge gehandelt – etwas rückständig, antiquiert, unaufgeklärt.
Nun ist das aber keine neue Entwicklung, wie uns der Predigttext zeigt. Schon von Anfang an gab es offensichtlich die Tendenz, die eigene Besonderheit aufzugeben und die Unterschiede zu anderen Vereinen einzuebnen. Es war schon immer bequemer, sich anzugleichen aufzufallen, als gegen den Strom zu schwimmen. So ging es in der Gemeinde von Thessaloniki Mitte des ersten Jahrhunderts zwar ganz ordentlich zu; Paulus attestiert seinen Leserinnen und Lesern, auf einem guten Weg zu sein. Aber es gab wohl auch Neigungen, sich anzugleichen oder zurückzufallen in die alten, alltäglichen Verhaltensweisen. Statt Integration Assimilation – Angleichung an all die Gewohnheiten, die das Leben mittelmäßig machen und mit Frust erfüllen. Was in der heutigen Integrationsdebatte wichtig ist, war schon für Paulus wichtig: Nicht die Einebnung der kulturellen Unterschiede kann das Ziel sein, sondern der gegenseitige bereichernde Austausch. Die Chance von Multikulti ist, dass sich der eigene Horizont weitet und dabei nicht nur bei Pizza oder Döner hängen bleibt. Die Chance der christlichen Kirchen ist es, mit ihren Visionen, ihrem Esprit die Gesellschaft zu bereichern und ihren Zusammenhalt zu fördern.
Paulus lässt im Predigttext keinen Zweifel daran, dass es bei dem Modellversuch Gemeinde ums Ganze geht: Entweder sie lässt sich vom göttlichen Esprit leiten und setzt schwungvolle, gute Akzente, oder sie zieht Gott und seine Sache in den Dreck. Unsere Sonderausstattung ist nicht nur ein Privileg, sondern führt in die Verantwortung. An uns liegt es, ob der Modellversuch Gottes gelingt, an uns hängt es, ob Gott in der Welt wieder glaubwürdig wird. Das ist schon enorm, aber es beflügelt auch! Und wenn wir den Eindruck haben, hier wird Übermenschliches von uns erwartet, hilft ein Blick auf den Prototyp des Sondermodells: Auf Jesus von Nazareth. Was hatte er den Menschen zu geben und zu sagen? Ganz einfach: Das Evangelium, und das meint: Die Gewissheit, dass Gott uns Menschen nah ist, wie ein Vater oder eine Mutter ihren Kindern. Dass er uns Menschen so nimmt, wie wir sind, mit all unseren Selbstzweifeln, Fehlern und Versagensängsten. Gerade diejenigen, die sich ausgesondert fühlen – die Evangelien sprechen mit Vorliebe von Sündern, Huren und Zöllnern –, werden von Jesus angesprochen, integriert und zu etwas ganz Besonderem gemacht: Zu Anwärtern auf das besagte bessere Leben voller Sinn, Freude und Freiheit. Die Sonderlinge werden zu Heiligen gekürt – diese sonderbare Botschaft zeigt, dass unser Gott selbst da, wo für uns Hopfen und Malz verloren scheinen, etwas Neues machen kann. Menschen wie Petrus, die notorisch kleingläubig und feige waren, gelten als Felsen, auf denen die Kirche gebaut ist. Nicht die perfekten Supermänner und –frauen, nicht die Extrafrommen oder das professionelle himmlische Bodenpersonal, sondern gerade die, denen man es nicht ansieht oder zutraut, sind Gottes erste Wahl: Wie eine unansehnliche Raupe sich irgendwann als wunderbarer, ganz besonderer Schmetterling entpuppt, so kann sich das Leben selbst dieser Menschen zu etwas ganz Besonderem verwandeln – wenn man nur Gott und seinen heiligen Geist machen lässt. Wir selber kriegen eine solche Verwandlung nicht hin. Aber bei Gott ist möglich, was für uns Menschen unmöglich ist.
Liebe Gemeinde, wir Menschen sind zu Höherem berufen, wir müssen uns nicht damit begnügen, dass es immerzu nur menschelt. Das alltägliche Mittelmaß ist nicht Gottes Sache. Es ist mehr drin, als wir denken und glauben. Für uns und alle Menschen. Diese Botschaft, diese „Message“ weiterzugeben ist unser Auftrag. Jesus von Nazareth hat das vorgelebt, für sein Evangelium hat er sein Leben investiert. Uns sagt er zu, Licht der Welt und Salz der Erde zu sein. „Seid vollkommen wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“, heißt es in der Bergpredigt. Dass das möglich ist und funktioniert, können wir selbst erleben, wenn wir uns als Gottes Modellversuch „Kirche“ ansprechen und von seinem Geist begeistern lassen. Fangen wir im Kleinen damit an, mit einem fairen, von Respekt und Wertschätzung getragenen Miteinander. Mit dem Verzicht darauf, auf Kosten der Anderen unsere Schnitte zu machen. Mit dem Mitdenken und Mitfühlen mit unseren Mitmenschen. Mit dem Verzicht auf Skandale in den eigenen Reihen. Mit dem Engagement für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft – gerade in der jetzigen Integrationsdebatte und gegen alle radikalen Tendenzen. Mit der Bereitschaft, uns gegebenenfalls als sonderbare, unverbesserliche Sonderlinge belächeln zu lassen. So werden wir, so wird Kirche und so wird Gott wieder glaub-würdig in der Welt. So kann und so wird sich unsere Gesellschaft zum Besseren hin entwickeln. Wir sind etwas Besonderes und haben etwas Besonderes weiterzugeben. Und wir haben das Zeug dazu – Gott sei´s gedankt!
Amen!
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